Das internationale Kapital ist beunruhigt und die Welt ist hoffnungsvoll, weil Mexiko seine Regierung am 1. Dezember mit dem Amtsantritt der Präsidentschaft von Andrés Manuel López Obrador (AMLO), entgegen der internationalen rechtsgerichteten Strömung, von rechts nach links der Mitte verlagert.
Das vollständige Zitat von Porfirio Díaz lautet: „Das arme Mexiko, so weit von Gott entfernt und so nah an den Vereinigten Staaten.“ Der mexikanische Präsident Díaz (1876-1880 und 1884-1911) hatte mit der einen Hälfte Recht. Mexiko hat im Schatten des Kolosses im Norden gelitten, aber Mexiko ist nicht arm. Mexiko ist in vielerlei Hinsicht reich, aber es ist auch verarmt. Und die Nordamerikaner haben Mexiko in höchstem Maß nicht gewürdigt und unterschätzt.
Mit dem Amtsantritt von Andrés Manuel López Obrador (AMLO) am 1. Dezember stellt sich Mexiko gegen die derzeitige internationale Rechtsströmung und verlagert seine Regierung von rechts nach links der Mitte. Das Sprachrohr des internationalen Kapitals “The Economist“ ist besorgt. Die anderen 99% der Menschheit sind hoffnungsvoll. Die lehrreiche Geschichte dieses dreifach eroberten Landes folgt.
Vorkolumbianisches Mexiko und die erste Eroberung
Bevor die Europäer die Neue Welt „entdeckten“, lebten in Mexiko viele große Zivilisationen, die fast vier Jahrtausende lang florierten: Azteken, Huaxteken, Izapa, Maya, Mixteken, Olmeken, Purépecha, Teotihuacan, Tolteken, Totonaken und Zapoteken. “History&Headlines“ klassifizieren die „10 großen historischen Zivilisationen“, wobei die Olmeken und Azteken neben den Römern, Persern und Ägyptern genannt werden.
Die gängige Vorstellung von Azteken zeigt wilde Männer in Lendenschurzen, mit Federn auf dem Kopf, die auf Steinpyramiden Menschenopfer bringen. Aber lasst uns das in einen historischen Kontext stellen. Der Historiker James Cockcroft erzählt uns, dass zur gleichen Zeit, als die Barbaren in der Neuen Welt ihre heidnischen Götter mit menschlichem Blut besänftigten, mehr Menschen ihr Ende fanden, weil sie von den zivilisierten Europäern im Namen Jesu als „Hexen“ verbrannt wurden. Die christliche Ermordung von Frauen ist ein vergessenes Erbe.
Der Kontakt mit den Europäern 1519 brachte den damals florierenden mexikanischen Zivilisationen Christentum und Krankheit. Während die Europäer und die amerikanische Ureinwohner technologisch ähnlich weit entwickelt waren, waren die Europäer in der Kriegsführung viel erfahrener, und so siegten sie und bekamen die Beute.
Der Geograph Jared Diamond schätzt, dass 90% der amerikanischen Ureinwohner durch Masern, Pocken, Grippe usw., also Krankheiten für die die Europäer relative Immunität entwickelt hatten, ausgelöscht wurden. Mexiko brauchte über 400 Jahre um sich zu erholen und hat seine Bevölkerungszahl von 1519 erst 1940 wiedererlangt.
Obwohl die Amtssprache Mexikos jetzt Spanisch ist und Mexiko die bevölkerungsreichste spanischsprachige Nation der Welt ist, beherbergt es auch die meisten aktiv gesprochenen indigenen Sprachen in Nordamerika.
Die zweite Eroberung Mexikos
Die erste Eroberung Mexikos erfolgte durch die spanischen Konquistadoren. Die zweite erfolgte durch die Yankees und hat weit weniger Aufmerksamkeit erhalten.
Mexiko gewann seine Unabhängigkeit von Spanien im Zeitraum 1810-21 und damit wurde die Sklaverei abgeschafft, jedoch bis 1829 nicht vollständig. In den USA wurde die Sklaverei erst 1863 mit der Emanzipationsproklamation, zwei Jahre später gefolgt von der Dreizehnten Änderung, formal abgeschafft. Durch Naturalpacht und die Jim Crow-Gesetze wurde diese „sonderbare Einrichtung“ jedoch im „Land der Freien/Freiheit“ erhalten.
Der Adams-Onís-Vertrag von 1819 schuf die Grenze zwischen den ehemaligen spanischen Kolonialgebieten und der ehemaligen britischen Kolonie, der heutigen USA.
Die 1836 von Mexiko abgefallene Republik Texas wurde 1845 von den USA annektiert. Im Jahr darauf wurde der mexikanisch-amerikanische Krieg von den USA als Eroberungskrieg provoziert.
Zwei Jahre später musste Mexiko den Vertrag von Guadalupe Hidalgo unterzeichnen, mit dem es fast die Hälfte seines Staatsgebiets abgab. Die USA bekamen Teile bzw. die gesamten Gebiete von den späteren Bundesstaaten Kalifornien, Arizona, Nevada, Utah, New Mexico, Wyoming und Colorado. Der “Gadsden Purchase“ von 1853 fügte der Kriegsbeute Süd-Arizona und New Mexico hinzu.
Insgesamt wurden 55%, also mehr als die Hälfte des Hoheitsgebiets von Mexiko, vom immer größer werdenden Koloss des Nordens übernommen. Kein Wunder, dass uns unsere Landsleute in Chicanx daran erinnern: „Wir haben die Grenze nicht überschritten, die Grenze hat uns überquert.“
Alta California
Nur wenige Tage vor der Unterzeichnung des Vertrags, der Alta (Ober-) Kalifornien aus Mexiko in die USA verlegte, war in Sutter’s Mill Gold entdeckt worden. Die Entdeckung von Gold war den Unterzeichnern damals nicht bekannt.
Alta California sollte der “Golden State“ werden. Mit einer Wirtschaft von 2,7 Billionen US-Dollar verfügt der US-Bundesstaat Kalifornien jetzt über die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt, größer als die Mexikos, mit 2,4 Billionen US-Dollar Bruttoinlandsprodukt (BIP). Wenn Alta California wieder zu Mexiko gehören würde, dann würde das BIP der neuen Union nur von den Mega-Volkswirtschaften Chinas, der USA, Indiens und Japans übertroffen werden.
Die Verfassung für Alta California, also den US-Bundesstaat Kalifornien, wurde auf Spanisch und Englisch verfasst. Trotz einer zweisprachigen Verfassung verabschiedeten die Wähler von Alta California 1998 die “Proposition 227“ (ausschließlich englisch-sprachigen Unterricht/keine bilingualen Klassen/Beendigung von Programmen zum Erwerb englischer Sprachkenntnisse). 2016 verabschiedeten die Wähler jedoch die “Proposition 57“, durch die die strengeren Bestimmungen des früheren Vorschlags aufgehoben wurden.
Die Aufhebung des Vorschlags des ausschließlich englischen Unterrichts spiegelt den Zustrom von nicht-englisch-sprechenden Menschen in den Staat wider. Alta California ist heute ein wahrhaft multiethnischer Staat. 43% der Einwohner sprechen zu Hause eine andere Sprache als Englisch. Die größte ethnische Gruppe ist erneut Hispanic/Latino, die 39% der Bevölkerung ausmacht und zahlenmäßig über der Gruppe, die die US-Statistikbehörde als „white alone“ bezeichnet, liegt.
Die mexikanische Revolution
Der Tyrann im Norden wurde nach Abschluss seiner eigenen Revolution anti-revolutionär. Als Haiti 1804 seine Unabhängigkeit von Frankreich erlangte, schlossen sich die USA dem Reich Napoleons an, um die aufstrebende haitianische Nation zu zwingen, höchste Entschädigungen dafür zu zahlen, dass sie sich aus der Sklaverei befreit hatten.
Trotzdem konnte die mexikanische Revolution von 1910 bis 1920 geschehen. Damals war das US-Imperium nicht so multitaskingfähig wie heute und bereits mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigt.
Die mexikanische Revolution steht im Pantheon der großen Revolutionen des 20. Jahrhunderts und wegweisend für Russland (1917), China (1949), Vietnam (1975) und die vielen Befreiungskämpfe der Dritten Welt im letzten Jahrhundert.
Als erste der großen Revolutionen des 20. Jahrhunderts garantierte die mexikanische Revolution Arbeitsrechte, verstaatlichte Bodenschätze, säkularisierte den Staat, beschränkte die Macht der römisch-katholischen Kirche und gab den indigenen Gemeinschaften unveräußerliche Landrechte.
Die Frauenrechte waren fortschrittlich, und Frauen kämpften als Soldaten und sogar als Kommandantinnen in der revolutionären Armee von General Emilio Zapata. Viele dieser Errungenschaften sind seitdem ausgehöhlt worden.
Die Institutionalisierung der Revolution
Nach der turbulenten revolutionären Periode konsolidierte sich die mexikanische Politik unter der PRI (Institutional Revolutionary Party). Diese einzige korporatistische Partei brachte politische Fraktionen zusammen und vertrat die Bauern, Arbeiter sowie die urbanen Fachkräfte. Mit dem Schwinden der revolutionären Ära, wurde die PRI zu einer Partei der politischen Mitte.
Die Einparteienregierung der PRI wurde schließlich im Jahr 2000 mit der Wahl des Coca-Cola-Managers Vincente Fox von der PAN (National Action Party) zum Präsidenten beendet. Die PAN gewann auch die anschließenden Präsidentschaftswahlen. Die PAN ist eine christlich-demokratische Partei, rechts der Mitte. Sie findet starken Rückhalt bei den landwirtschaftlichen Unternehmen Nord-Mexikos sowie den internationalen Konzernen und verfolgt eine konservative Agenda.
Der letzte mexikanische Präsident, Peña Nieto, ist Mitglied der PRI. Als sich die PRI 1986 nach rechts bewegte, spalteten sich die liberaleren Kräfte und bildeten die PRD (Partei der Demokratischen Revolution). Die Hochburg der PRD sind Mexiko-Stadt und die organisierten Arbeiter.
Andrés Manuel López Obrador war Kandidat der PRD bei den Präsidentschaftswahlen 2006 und 2012. Es wird allgemein angenommen, dass er beide Wahlen aufgrund von Wahlbetrug verloren hat.
NAFTA – die dritte Eroberung Mexikos
Die dritte Eroberung Mexikos erfolgte durch nordamerikanisches Finanzkapital in Form des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) und ähnlichen neoliberalen Vereinbarungen. Weder frei noch beschränkt auf den Handel (z. B. beinhaltet es auch militärische Zusammenarbeit), erleichterte diese heimliche Eroberung die Rückführung ausländischer Investitionsgewinne und die weitere Integration Mexikos in die US-Wirtschaft.
NAFTA wurde 1994 zwischen Mexiko, den USA und Kanada ratifiziert. Die Vereinbarung bleibt in den konstituierenden Bundesstaaten umstritten. Die Zapatistas in Südmexiko wählten für den Beginn ihrer fortdauernden Rebellion gezielt den Tag, an dem NAFTA in Kraft trat, und sagten voraus, welche schädlichen Auswirkungen die NAFTA haben würde.
Bis zum Jahr 2014 hatten eine Million US-Arbeiter aufgrund von NAFTA ihren Arbeitsplatz verloren, was ebenfalls zu einer Senkung der Löhne führte.
Durch NAFTA wurden viele Unterstützungsmaßnahmen der mexikanischen Regierung für die nationale Landwirtschaft beendet, während gleichzeitig die Einfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus den USA und Kanada gefördert wurde. Demzufolge sind die kleinbäuerlichen, landwirtschaftlichen Familienbetriebe in Mexiko wirtschaftlich kaum existenzfähig. Das Ergebnis war eine massive interne Migration vom Land in die mexikanischen Städte und die Auswanderung von Menschen, die gezwungen waren die ländlichen Regionen zu verlassen, in die USA.
Die Gewinner und die Verlierer des Neoliberalismus
Ein oder zwei Jahrzehnte vor der Einführung von NAFTA schien Mexiko soweit zu sein, sich von einem sich entwickelnden in ein entwickeltes Land zu wandeln. Neue Ölreserven waren entdeckt worden und ein Boom schien unmittelbar bevorzustehen. Aber anstatt sein Entwicklungsmodell fortzusetzen, beugte sich Mexiko dem internationalen finanziellen Druck und wechselte zu dem neoliberalen Modell der Deregulierung und Privatisierung.
Anstatt die mexikanische Wirtschaft durch eine zunehmende Integration in die US-Wirtschaft voranzutreiben, wie es die Befürworter von NAFTA versprochen hatten, ist Mexiko noch weiter zurückgefallen. Nach Inkrafttreten von NAFTA und den neoliberalen „Reformen“ nahm die Armut in Mexiko zu, während das Wirtschaftswachstum pro Kopf im Vergleich zu den übrigen Ländern Lateinamerikas zurückging.
Anstelle der Angleichung der mexikanischen Löhne an die der USA, wurden die Arbeitslöhne mit denen in Guatemala konkurrenzfähig. Mexiko nahm seinen Platz in der internationalen Marktwirtschaft als Standort für Billiglohn-Montagebetriebe & -Fabriken im Besitz von Ausländern, deren Produkte in die ausländischen Märkte exportiert werden, ein.
Trotz des hohen nationalen Vermögens leben 46% der Mexikaner unterhalb der Armutsgrenze. Das Pro-Kopf-Einkommen Mexikos ist ein Drittel von dem in den USA, wodurch die gemeinsame Grenze die, mit der weltweit höchsten Einkommensungleichheit ist.
Der Profiteur des Neoliberalismus: Das staatliche Telefonmonopol Telmex wurde 1990 privatisiert und von Carlos Slim Helú aufgekauft, der bis 2010 nicht nur der reichste Mann Mexikos, sondern der ganzen Welt wurde. Er ist in der Rangliste ist inzwischen auf Platz sieben abgerutscht, ist aber immer noch der Top-Tycoon in Mexiko und besitzt 40% der Notierungen an der mexikanischen Börse. Sein Nettovermögen entspricht 6% des mexikanischen BIP, was über dem gesamten BIP des benachbarten Guatemala liegt und viermal so hoch wie das von Nicaragua ist.
Mit einer neuen Schicht von Milliardären und andererseits zunehmender Armut, jeweils durch den Neoliberalismus bedingt, gehört Mexiko zu den Ländern mit hoher Ungleichverteilung, mit einem Gini-Koeffizient von 48,2. Carlos Slim und acht weitere internationale Bonzen verfügen inzwischen über mehr Reichtum als die Hälfte der Weltbevölkerung.
Zeitgenössisches Mexiko
Und doch ist Mexiko als Nation in vielerlei Hinsicht reich.
In Bezug auf Biodiversität findet Mexiko kaum Beachtung. Dabei liegt Mexiko diesbezüglich an vierter oder fünfter Stelle auf der Welt und erzielt eine hohe Punktzahl bei Reptilien, Vögeln, Säugetieren und Pflanzen. Das viel mehr gefeierte Costa Rica belegt in keiner dieser Kategorien die Top Ten, hat aber eine weitaus bessere Öffentlichkeitsarbeit. Mexiko umfasst ausgedehnte Regenwälder, Trockenwälder, Berge, Wüsten und das zweitgrößte Korallenriff der Welt.
Mexiko ist im Bereich des Schutzes von Walen weltweit führend. Der kommerzielle Walfang wurde 1954 verboten. Als Vergleich dazu, die letzte US-Walfangstation in der Bucht von San Francisco wurde 1971 geschlossen, gefolgt vom “Mammal Protection Act“ im Jahr darauf. Das weltweit erste Walschutzgebiet der Welt wurde 1972 von der mexikanischen Regierung gegründet. Im Jahr 2002 führte Mexiko erneut die Weltspitze an und erklärte seine Hoheitsgewässer und ausschließlichen Wirtschaftszonen zu Walschutzgebieten.
Kulinarisch zählt Mexikos “Cocina“ zu den großen Küchen der Welt und hat viel mehr zu bieten als nur Tacos und Burritos. Zu Mexikos Beiträgen für die Speisekammer der Welt zählen Avocados, Schokolade, Guaven, Tomaten, Vanille, viele Bohnen- und Chilisorten und vor allem Mais, der heute das wichtigste Grundnahrungsmittel der Welt ist.
Mexiko hat die meisten UNESCO –Weltkulturerbestätten in der westlichen Hemisphäre. Die drei einflussreichsten modernen Wandmaler sind die Mexikaner Diego Rivera, José Clemente Orozco und David Siqueiros.
Mexiko ist mit 7,6 Mrd. Barrel nachgewiesener Reserven ein bedeutender Rohölproduzent. Weltweit rangiert es auf Platz 12, noch vor Nigeria, Katar und Libyen.
Die mexikanische Wirtschaft steht weltweit auf Platz 11 und liegt, nach Brasilien, an zweiter Stelle in Lateinamerika. Mexikos BIP ist höher als das von Italien oder Spanien und knapp unter dem von Frankreich und dem des Vereinigten Königreichs. Damit ist Mexiko eines der wichtigsten Wirtschaftszentren der Welt.
Die Wahl 2018
Andrés Manuel López Obrador kandidierte am 1. Juli für die mexikanische Präsidentschaft. Nach dem er mit der PRD gebrochen hatte, konnte er bei seinem dritten Anlauf, nach dem Motto „aller guten Dinge sind drei“ den eindeutigen Sieg einfahren. Morena, seine neu gegründete Partei, schaffte einen Rundumschlag bei den Bundes- und Landtagswahlen.
Die gewählte Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt, Claudia Sheinbaum Pardo, ist ebenfalls Teil der siegreichen Koalition. Sie ist die erste Frau und die erste Jüdin, die für dieses Amt gewählt wurde. Sie ist Wissenschaftlerin und Mitglied im Weltklimarat (IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change), dem 2007 der Friedensnobelpreis verliehen wurde.
Nach Jahrzehnten rechtsgerichteter Regierungen in Mexiko, wird am 1. Dezember 2018 López Obrador vereidigt. Die Bevölkerung Mexikos erwartet, dass jetzt Korruption, Ungleichheit und die seit langem schwelende ökonomische Ungerechtigkeit angegangen werden.
Übersetzt von freiesicht.org