Heute sind wir frei von den religiösen Zwängen, denen noch unsere Eltern bzw. Großeltern unterlagen: Wir müssen am Sonntag nicht mehr zum Gottesdienst gehen; und das macht auch kaum einer, viele Kirchenhäuser schließen, die Gebäude werden einem neuen Zweck zugeführt. In Deutschland und vielen anderen Ländern, können wir heute, frei von christlicher Moral, ohne den „heiligen Bund der Ehe einzugehen“, in gemischt-geschlechtlichen oder gleich-geschlechtlichen Partnerschaften zusammen leben. Gott bzw. Religion spielt kaum noch eine Rolle in dem Leben der meisten Menschen.
Die „Abschaffung von Gott“ bedeutet aber viel mehr:
Religion beschränkt unser Denken, denn sie liefert die Erklärungen für das Unerklärliche, gibt dem Sinnlosen einen Sinn, stellt Regeln, Gesetze, Gebote auf.
Für manch einen ist Religion bzw. Religiosität daher erstrebenswert – man hält sich an die jeweiligen Regeln/Gebote und bekommt dafür die Universalerklärung der Welt und des Lebens, erhält Trost in schweren Situationen und schließlich das “Weiterleben der Seele nach dem Tod“. Es ist bequem, wenn man nicht selber nachdenken muss, sich nicht mit der Sinnhaftigkeit/Sinnlosigkeit des eigenen Lebens auseinandersetzen muss, das eigene Handeln nicht vor dem eigenen, inneren Gerichtshof, dem „Gewissen“ prüfen und erklären muss. Und am Ende wartet, wenn man sich nach den Regeln verhalten hat, die Belohnung – der Himmel, das Paradies.
Wenn wir davon ausgehen, dass institutionalisierte Religion der Ausübung von Macht und Unterdrückung dient, dann sind religiöse Menschen die besten Untertanen.
Durch die „Abschaffung von Gott“ wurden wir aus dieser Unterdrückung befreit, erlangten Freiheit.
„Freiheit, das heißt keine Angst haben, vor nichts und niemand“, sagt Konstantin Wecker in seinem wohl bekanntesten Stück „Willy“ – der Willy, der im Lied von faschistischen Stammtisch-Idioten erschlagen wird.
Oder Rosa Luxemburg: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden, sich zu äußern“.
Und Immanuel Kant: „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.“
Folgende Definition des Begriffs „Freiheit“, von einem unbekannten Autor, fasst es gut zusammen:
„Freiheit ist Gabe und Aufgabe. Sie erfordert Selbstbestimmung anstelle von Fremdbestimmung, Mitverantwortung anstelle von Gleichgültigkeit, Mitmenschlichkeit anstelle von Vereinzelung. Freiheit umfasst Rechte und Pflichten. Sie ist untrennbar von der Verantwortung der Person für sich und andere.“
In einer Demokratie bestimmt genau diese Freiheit das Leben der Gesellschaft, die politischen Prozesse und Entscheidungen. Jeder einzelne bestimmt mit, übernimmt Verantwortung…, oder?
Das deutsche Grundgesetz ist eine freiheitliche, demokratische Verfassung und wir können regelmäßig bei Wahlen Menschen bzw. Parteien auswählen, die dann uns, unsere Ziele, Wünsche und Interessen in Kommune, Land- und Bundestag vertreten sollen. Nur leider machen unsere gewählten „Volksvertreter“ nicht, was wir – das Volk – wollen. Kaum einer erwartet noch, dass Politiker ihre Wahlversprechen einhalten oder zumindest versuchen sie umzusetzen. Die Erfahrung zeigt uns, dass Parteien während des Wahlkampfs mit vielen Schlagwörtern – derzeit mal wieder „soziale Gerechtigkeit“ – um sich schmeißen; ohne konkrete Angaben, um wie viel „mehr“ soziale Gerechtigkeit es sich handelt bzw. wie das denn im Einzelnen umgesetzt werden soll. Und wenn sie dann in der Regierung sitzen passiert nichts von dem, was vorher vollmundig versprochen wurde. Nach den Wahlen wird weiter Politik für Großkonzerne und Banken gemacht. An die 6.000 Lobbyisten gehen im Bundestag ein und aus, d.h. auf jeden der 630 Bundestagsabgeordneten kommen 9 1/2 Einflüsterer.
Wer glaubt da noch an Mitbestimmung, Mitverantwortung und die Rechte des einzelnen Bürgers? Wen wundert es da, wenn viele Menschen aus „Politikverdrossenheit“ – „es ändert sich ja doch nichts“, kein Interesse mehr daran haben?
Einige – meist diejenigen, die kaum Perspektiven für sich sehen und die gern, die noch Schwächeren zum Sündenbock machen – begehren auf, indem sie aus Protest irgendwelche rassistischen, nationalistischen, faschistischen „Eintagsfliegen“-Parteien wählen – Rattenfänger, die kommen und wieder gehen. Das kümmert weder die etablierten Parteien, obwohl das Geschrei natürlich immer groß ist, noch kümmert es die wahren Herrscher im Land, das Kapital. Tatsächlich braucht das System solche Parteien für seinen Fortbestand, sie sind das Ventil um Dampf aus dem Kessel zu lassen, damit dieser nicht platzt.
Andere hoffen durch die Wahl einer linken Opposition zumindest etwas Sand in das Getriebe des Bundestags zu streuen. Möglicherweise hat das einen marginalen Effekt auf das Geschehen, aber einen Politikwechsel bewirkt das natürlich nicht.
Viele wählen nach wie vor eine der etablierten Parteien, sei es aus Gewohnheit oder weil man ihnen beigebracht hat, dass man zur Wahl geht. Die Älteren unter ihnen, die ihre Informationen ausschließlich aus Fernsehen und Presse beziehen, glauben vielleicht sogar, was ihnen diese Medien vormachen wollen.
Und es gibt die, denen das alles egal ist; es interessiert sie einfach nicht, welche Politik gemacht wird, was „unsere Volksvertreter“ so treiben. Sie wollen nicht mitbestimmen, sie wollen auch keine Verantwortung übernehmen. Sie wollen nichts wissen und sie wollen nicht nachdenken. Sie wollen die Freiheit, im Sinne des oben zitierten unbekannten Autoren, gar nicht.
Sie wollen konsumieren! Zumindest denken sie das.
„Wir haben die wunderbare Freiheit, die wir durch die Abschaffung von Gott erlangt haben, aufgegeben und durch Konsum ersetzt …“
Konsum bzw. zum Konsumismus/Konsumerismus, wikipedia sagt dazu:
Konsumismus – „In der Deutung der Frankfurter Schule dient die kapitalistische Kulturindustrie dazu, durch Erzeugung falscher Bedürfnisse und eines „falschen Bewusstseins“ das Klassenbewusstsein der Arbeiter zu vernebeln. Insofern stellt der Konsumismus eine List dar, mit der die Arbeiter in das kapitalistische System integriert und davon abgehalten werden, aufzubegehren.“
Konsumerismus – „(aus dem englischen consumerism: Konsumdenken) ist ein ideologiekritischer Ausdruck aus den Sozialwissenschaften, wonach persönliches Glück mit dem Verbrauch von Wirtschaftsgütern erzielt wird. Konsumerismus beschreibt ein konsequentes Konsumdenken, wobei der Konsum zu einer Ersatzreligion wird.“
Das Leben vieler Menschen scheint davon bestimmt zu werden, möglichst viel Geld zu verdienen, damit sie sich Dinge kaufen können, die sie nicht brauchen, von denen uns aber gesagt wird, dass wir sie unbedingt brauchen.
Und es werden nicht nur materielle Dinge konsumiert. Die Verneblung der Menschen wird durch den Konsum dümmlicher Reality-Sendungen/Shows, menschenverachtender, angeblicher „Wettbewerbe“ für Models, Superstars, u.ä. im Fernsehen, sinnloser Computerspiele, Youtube-Werbefilme von Amateuren à la Bibis Beautypalace, usw. vorangetrieben.
Die „Brot & Spiele“-Strategie der politischen Machthaber und des Kapitals, das Volk durch vermeintlich selbstgewählten Konsumismus abzulenken, von freiem, kritischem Denken abzuhalten und von politischen Prozessen fern zu halten, funktioniert.
Wir verzichten auf Freiheit, weil wir lieber konsumieren wollen?
Wir leben doch nicht, um die Wirtschaft und das System zu unterstützen!
Wir sind keine unmündigen Konsumenten. Wir sind freie Menschen.
Wenn wir weniger konsumieren würden, weniger kaufen „müssten“, dann könnten wir auch weniger arbeiten. Das Leben wäre viel ruhiger, wir hätten mehr Freizeit. Und wir hätten Zeit für Freiheit: „Selbstbestimmung anstelle von Fremdbestimmung, Mitverantwortung anstelle von Gleichgültigkeit, Mitmenschlichkeit anstelle von Vereinzelung und die Verantwortung für uns selbst und alle anderen, in einer besseren Gesellschaft.“
„… und weil der Prolet ein Prolet ist, drum kann ihn auch kein anderer befreien, es kann die Befreiung der Arbeiter, nur das Werk der Arbeiter sein…“ – Einheitsfrontlied/B. Brecht
Verfasst für sendika.org