Über die US-amerikanischen Kriegsdrohungen gegen Teheran und die Perspektiven der Linken. Ein Gespräch mit Homayon Iwani
Homayon Iwani wurde 1982 als Mitglied der Guerillaorganisation der Volksfedadschin Irans (Minderheit) verhaftet und saß bis 1989 im Iran im Gefängnis. Momentan arbeitet er mit der Initiative »Prison’s Dialogue«, der im Exil lebende ehemalige politische Gefangene aus dem Iran angehörenDerzeit verschärft sich die Kriegsrhetorik seitens der USA gegen den Iran. Nun ist es in Deutschland häufig so, dass sich bis in die Linke hinein Stimmen finden, die diese Drohungen unterstützen, weil in Teheran ja ein reaktionäres Regime herrscht. Wie sieht die iranische Linke die Gefahr einer Intervention Washingtons?
Eine solche Position teile ich nicht. Denn Krieg ist in keinem Fall und für kein Land eine Lösung. Die revolutionäre Linke im Iran hat immer betont, dass sie nicht auf der Seite internationaler Eingriffe oder militärischer Attacken gegen den Iran steht.
Es ist zwar klar, dass im Iran seit vielen Jahren eine reaktionäre Regierung besteht. Aber was dagegen entwickelt werden muss, ist eine unabhängige und sozialistische Alternative. Das heißt, sich weder auf die Seite der iranischen Regierung, noch auf die imperialistischer Interventionen zu stellen. Wir als revolutionäre Linke fassen unsere Ziele unter drei miteinander verbundenen Parolen zusammen: »Nein zum Krieg! Nein zum Militarismus! Nein zur islamischen Republik im Iran!«
Wie realistisch sind denn tatsächlich militärische Angriffe gegen den Iran? Ist das nur Rhetorik aus dem Weißen Haus oder könnte es wirklich dazu kommen?
Die US-Regierung und insgesamt der imperialistische Block entwickeln parallel verschiedene Szenarien gegen die iranische Regierung. Im Moment sind es nicht viel mehr als Drohungen, was den direkten Angriff anbelangt. Aber natürlich kann diese Eskalation außer Kontrolle geraten – wie ja vor kurzem offenbar, als Trump einen Angriff befahl und wieder stoppte.
Beide Regierungen haben ein gewisses »Interesse« an solchen Provokationen: Auf der einen Seite ist in den USA Wahlkampfzeit. Trump will wiedergewählt werden. Krieg und das Schüren von Ultranationalismus mobilisiert die extrem rechte, rassistische und rechtskonservative Wählerschaft. Auf der anderen Seite kann die iranische Regierung mit der Bedrohung von Außen sowohl die Verhaftungen von Arbeiter-, Frauen- und Jugendaktivisten, aber auch ihre politische und wirtschaftliche Krise rechtfertigen.
Im Moment sehe ich eher ein Szenario wie im Falle Libyens oder beim Irak. Zunächst wird mit anderen Mitteln versucht, den Gegner – in diesem Fall den Iran – zu schwächen, um dann leichter angreifen zu können. Soweit ist es aber noch nicht. Und auch die geopolitische Situation ist nicht förderlich für den Angriff, insbesondere die Rolle von Russland und China. Also ist die Wahrscheinlichkeit eines vollständigen Krieges im Moment nicht allzu hoch. Aber die Situation kann dennoch jederzeit außer Kontrolle geraten.
Welche Rolle spielt eigentlich Deutschland in dieser Auseinandersetzung?
Momentan nehmen Deutschland, Japan und Katar eher eine Vermittlerrolle ein. Aber man muss bedenken, dass es in diesen Verhandlungen auch darum geht, die militärischen Kapazitäten des Iran zu reduzieren. Erst wenn das Land durch andere Strategien militärisch geschwächt ist, ist ein Angriff aus Sicht der USA und der NATO vernünftig.
Zudem muss man sagen, dass die direkte Gefahr nicht allein durch die USA da ist. Auch die Hochrüstung Saudi-Arabiens ist sehr gefährlich. Seit 2017 ist Saudi-Arabien an dritter Stelle der Länder mit den höchsten Rüstungsausgaben – noch vor Russland zum Beispiel. Wenn man einem solchen Land mehr und mehr Waffen zur Verfügung stellt, explodiert das irgendwann.
Es überlagern sich hier also mehrere Konfliktebenen, lokale und internationale. Insgesamt ist nicht nur der Iran, sondern der gesamte Nahe und Mittlere Osten in einem kritischen Zustand. Und alle Linken sollten ihren Fokus auf diese Situation legen und nicht wie im Irak, Libyen oder Jemen einfach abwarten, bis der Krieg beginnt.
Nun gibt es ja jetzt schon weitreichende Sanktionen gegen den Iran. Welche Auswirkungen hat das auf die Bevölkerung?
Unter den Sanktionen leidet direkt das Volk. Die korrupte Regierung kann sich weiterhin bereichern. Aber die Waren und Materialien, die die Bevölkerung benötigt, fehlen. Unter der Inflation leiden die Schwachen. Die reichen Schichten werden durch diese Maßnahmen nicht nur nicht getroffen, sie werden teilweise noch reicher, denn sie kontrollieren den Import und Export.
Der Mindestlohn zum Beispiel reicht nicht einmal über die erste Woche im Monat hinaus. Diese Situation ähnelt den Erfahrungen aus anderen Ländern. Sanktionen treffen in erster Linie die ökonomisch Schwachen und die Arbeiterklasse.
Im letzten Jahr gab es eine Reihe von Arbeiterprotesten im Iran, eine große Streikbewegung. Wie bewerten Sie diese Phase?
Die Linke und die Arbeiterbewegung im Iran erleben eine Renaissance. Seit 40 Jahren haben wir nichts Vergleichbares in dieser Intensität erlebt. Und auch die Reaktionen der Regierung, die Verhaftungswellen, zeigen, dass sie Panik bekommen hat. Sie befürchtet, dass die Arbeiterbewegung eine neue Hoffnung schafft, dass die Regierung nicht durch imperialistische Intervention, sondern durch eine soziale Bewegung gestürzt werden kann.
Insgesamt kann man die Phase seit Januar 2018 als eine revolutionäre Periode bewerten, aber mit vielen Auf- und Abbewegungen. Mal explodieren die Proteste an einer Stelle, dann ist wieder Ruhe, und dann geht es an einer anderen Stelle wieder los. Die Arbeiter-, Studenten- und die Frauenbewegung treten dabei in den Vordergrund. Nicht nur die iranischen Revolutionäre, sondern die gesamte Linke sollte diese unabhängigen Bewegungen unterstützen.
Nun ist die iranische Opposition ja sehr gespalten. Welche groben Strömungen gibt es in ihr?
Man kann drei Tendenzen nennen. Zunächst gibt es die, die schlichtweg pro USA oder pro NATO sind. Das hat nichts mit der Linken zu tun. Das sind einfach Leute, die hoffen, wenn es zu einem Krieg oder Regime-Change kommt, werden sie danach an den Machtpositionen beteiligt. Das sind Systemparteien, die haben nichts mit Marxismus zu tun. Sie sind korrupt und finanziert von NGOs aus dem Ausland. Wenn man ihre Projekte nachverfolgt, endet man immer auf der Homepage irgendeines Außenministeriums, entweder dem der USA oder europäischer Staaten.
Eine zweite Strömung sind jene rund um die reformistischen und orthodoxen Gruppierungen, die schon zur Zeit des Bestehens des Realsozialismus immer nur interne iranische Konflikte unter dem Blickwinkel der Interessen der internationalen Konflikte analysiert haben. Und heute sind sie bei einer Analyse geblieben, die nur zwei Pole kennt: den Imperialismus auf der einen Seite und die reaktionären Regierungen Syriens oder des Irans auf der anderen. Sie haben keine Idee davon, dass man auch eine unabhängige sozialistische Alternative aufbauen kann.
Die dritte Strömung ist die revolutionäre Linke, die eine große Tradition seit den 1960er und 1970er Jahren hat. Ihr Ziel ist es, jenseits der kapitalistischen Möglichkeiten eine neue Alternative zur Verwirklichung von Gerechtigkeit und Freiheit aufzubauen. Es ist uns klar, dass wir in einer instabilen und kritischen internationalen Lage gleichzeitig gegen die USA bzw. die NATO-Verbündeten und die Islamische Republik im Iran die politischen und sozialen Bewegungen unterstützen bzw. organisieren müssen. Wir tun unser Bestes, um eine solche hoffnungsvolle Alternative zu schaffen. Allerdings muss man sagen, dass es um die Organisierung dieser Strömung heute nicht so gut bestellt ist.
Was ist damit gemeint?
Wir hatten in den 1970er und 1980er Jahren harte Verluste. Täglich wurden bis zu 150 unserer Kader hingerichtet. Täglich! Und das zu überstehen ist für eine Organisation nicht einfach. Aber zum Glück haben einige von uns überlebt, und eine neue Generation wurde in den letzten Jahren sehr aktiv.
Die Herausforderung heute ist, wie man die verschiedenen Strömungen des Protests in eine konzentrierte Bewegung zusammenbringen kann. Wie gesagt, Aktivitäten in der Frauen-, Arbeiter- und Studentenbewegung gibt es viele. Aber es fehlt an langfristiger Organisierung. Und das braucht Zeit.
Welche Rolle spielt die kurdische Bewegung, die im Iran ebenfalls sehr stark ist?
Als iranischer Linker kommentiere ich nicht die Unterschiede zwischen den verschiedenen kurdischen Parteien. Für die gesamte kurdische Bewegung und Bevölkerung kann ich sagen: Wir unterstützen sie, und wir respektieren das Recht auf Selbstbestimmung der Kurden – und auch anderer Völker des Iran.
Historisch ist es so, dass der Kampf der Kurden im Iran auch immer ein wichtiger Bezugspunkt für die Linke war. Aber auch der Kampf gegen den IS in Syrien zeigt aktuell, dass die kurdische Bewegung ein wichtiger Hoffnungsträger für die Region ist.
Welche Erwartungen haben Sie als iranischer Revolutionär an die deutschen Linken?
Wir wollen für den Nahen Osten und den Iran eine Alternative schaffen. Wir brauchen Unterstützung, die unabhängig ist vom Imperialismus und von den reaktionären Regierungen. Es geht darum, die Arbeiterbewegung im Iran in ihrem Kampf um Gerechtigkeit zu unterstützen. Und ich glaube auch, dass das ein Weg für Frieden im Nahen Osten ist.