Den sogenannten demokratischen Regierungen reicht es nicht, Geflüchtete in Booten nicht an Land zu lassen, sondern es werden schon seit längerem rassistische und kriminalisierende Kampagnen (siehe bspw. die ARD Reportage im Magazin Plus-Minus vom 24.8.2016* und die Online-Ausgabe der Augsburger Allgemeine vom 17.05.2017**) gegen die losgetreten, die mit Glück ihr Leben retten konnten und den Weg über das Meer nach Europa zwar geschafft haben, aber jetzt als ambulante Strassenverkäufer überleben. Genau sie sollen es jetzt sein, die durch Zigarettenschmuggel und Produktpiraterie terroristische Gruppen unterstützen und finanzieren. Auch in Barcelona sind, trotz alternativer‘ Stadtverwaltung, die mediale Hetze und polizeiliche Übergriffe gegen die StrassenverkäuferInnen im vollen Gange. Besonderen Unmut erregte in bestimmten Politiker-, Presse- und Unternehmerkreisen, dass die Tourismushochburg Barcelona durch die Präsenz von ambulanten VerkäuferInnen im Hafengebiet in ihrem Prestige ‚beschädigt‘ werden könnte. Gleichzeitig versucht man, mit teils aberwitzigen Argumenten, die ‚manteros‘ (ambulante StassenverkäuferInnen) für den Anstieg von Kriminalitätsraten in der Stadt (mit) verantwortlich zu machen. Aber im Grunde geht es darum, diese Menschen, ihre Fluchtgründe und ihren Überlebenskampf im Grossstadtjungel unsichtbar zu machen, und sie und ihre Armut aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen.
Angesichts dieser Situation und des ständig auf allen Ebenen wachsenden Rassismus sieht sich die Gewerkschaft der ambulanten Strassenverkäufer (manteros) in Barcelona veranlasst, folgendes Kommunique*** zu veröffentlichen:
Die Gewerkschaft der AMBULANTEN VERKÄUFER von Barcelona gibt ihre Forderungen bekannt:
Wir müssen nicht schweigen, wir müssen uns überlegen, was wir gemeinsam tun sollen. Doch trotz des Kontakts mit „der Verwaltung des Wandels“, wie sie sich selbst nennen…. Von Seiten unserer Gewerkschaft haben wir mehrere soziale Vorschläge vorgelegt, die das Leben der Manteros [ambulante Strassenverkäufer] verbessern könnten, aber weder die Stadtverwaltung noch die Generalitat [katalanische Regionalregierung] sind daran interessiert zu wissen, wie sie mit dem Humankapital umgehen sollen, das sie in dieser Stadt haben.
Nun, wir sagen ihnen laut und deutlich, dass wir Teil dieser Stadt sind und das Recht haben, in ihr zusammenzuleben und zu leben. Aber solange wir nicht leben können und nur überleben können, sollen sie nicht erwarten , dass wir uns an Ihre Wünsche und Anforderungen halten. Wir erklären, dass, wenn das Einzige, was sie beunruhigt, wir die Ersten sind, was die Kreuzfahrt-Touristen bei ihrer Ankunft in Barcelona sehen werden, dass sie sich keine Sorgen machen sollen: wir selbst werden sie mit einem „Welcome to Barcelona“ an der ersten Linie des Hafens begrüßen. Solange wir in Verfolgung, Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit leben müssen, auf die Gefahr hin, jeden Tag unser Leben zu verlieren, werden wir trotz allem nicht unsichtbar werden. Wir werden die Orte nicht verlassen, an denen wir am meisten zu sehen sind, auch wenn dies zu Lasten der Privilegien und das Ansehens derjenigen geht, die sich davon gestört fühlen.
Währenddessen werden wir und unsere Brüder und Schwestern bei unserer Ankunft von der Küstenwache mit Gummigeschossen begrüßt. Sie versuchen, uns das Leben zu nehmen, als es so schien, dass wir das Schlimmste bereits überwunden hatten, um das Mittelmeer zu überleben, ein anderes Meer, das wir als das Grab betrachten, in dem unsere Vorfahren lagen. Sie wollen dasselbe mit uns machen, uns in die Enge treiben, uns zum Meer schieben, durch das wir gekommen sind. Sie drängen uns mit Gewalt und mit Missbrauch von der Plaça Catalunya [zentraler Platz im Zentrum Barcelonas) und zwingen uns, uns im Barceloneta-Viertel, im Hafen, niederzulassen und zu verkaufen. An das Meer gebunden, aus dem wir kamen, gezwungen durch die Ausbeutung und den Missbrauch, den multinationale Konzerne und westliche Regierungen in unseren Ländern betreiben. Sie haben uns andere Optionen genommen und wir haben deshalb die Entscheidung getroffen, diese Reise zu unternehmen, und wir werden nicht zulassen, dass uns etwas oder irgendjemand unsere Würde wegnimmt.
Der Vorschlag, die Manteros von der Straße
zu schaffen, wird menschlich sein oder
nicht stattfinden! Überall Manteros! Wir sind nicht wie Salz, das man
ins Wasser wirft und es sich dann darin auflöst“. Überleben ist kein
Verbrechen. Überleben ist nicht leben.
Wir danken
allen Anwesenden, die, auf die eine oder andere Weise, sich um das Leben von
Menschen kümmern. Dank auch an die antirassistischen und die sozialen Kollektive. An diejenigen,
die uns unterstützen. Wir ermutigen Sie, diese Stadt und ihre Bürger zu
verteidigen , und nicht diese korrupten Politiker. Dieser Kampf umfasst nicht
nur die Verteidigung der Menschenrechte oder der Einwanderer, sondern auch den
Kampf gegen die Regierung einer rassistischen Verwaltung und gegen ein
diskriminierendes und mörderisches Einwanderungsgesetz.
Dies sind die konkreten Vorschläge der Gewerkschaft der Straßenverkäufer in Barcelona:
1/ Allgemeine Regularisierung aller Personen ohne Dokumente in Spanien.
2/ Sozialprojekte für Menschen in einer irregulären Situation.
3/ Ausbildung, Orientierung und Begleitung von Personen mit Papieren und die Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche haben.
4/ Menschen ohne Papiere oder ohne einen unbefristeten Mietvertrag zu helfen, Sozialmieten in Anspruch zu nehmen.
5/ Sofortige Zurücknahme der polizeilichen Massnahmen während der Durchführung von Sozialmaßnahmen.
* https://www.youtube.com/watch?v=hAMc55zvsf4
*** http://manteros.org/comunicados/#1521370431778-04d7ddd1-6e1e
Almuth Intemann
Harald Piotrowski
Barcelona, 28.08.2019