BERLIN/LA PAZ (Eigener Bericht) – In Bolivien erhebt sich massiver Protest gegen ein Joint Venture mit deutscher Beteiligung zur Gewinnung von Lithium für E-Auto-Batterien. Das Gemeinschaftsunternehmen, an dem der deutsche Mittelständler ACI beteiligt ist, sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, die Gemeinden rund um die Lithium-Lagerstätten im bolivianischen Hochland unter Bruch bolivianischer Gesetze nicht an den Exporterlösen zu beteiligen. Auch wachsen die Zweifel daran, ob das Joint Venture („YLB ACISA E.M.“) tatsächlich eine komplette Lithium-Wertschöpfungskette bis hin zur fertigen Autobatterie in Bolivien aufbaut; dies hatte die Regierung von Präsident Evo Morales ursprünglich gefordert. Zusätzlich nähren Ansprüche des deutschen Projektpartners auf Patentrechte und auf die Kontrolle der Finanzströme wachsendes Misstrauen gegenüber dem mittelständischen Betrieb aus Baden-Württemberg, der sich bei der Ausschreibung – mit massiver Unterstützung der bundesdeutschen Politik – gegen Konsortien aus China, Russland und den USA hatte durchsetzen können.
„Lithium heute, Hunger morgen“: Protest in Potosi
Straßenblockaden und Hungerstreiks
Ein deutsch-bolivianisches Projekt zum Abbau von Lithium stößt auf Widerstand. In der Stadt Potosí nahe des Salzsees von Uyuni im bolivianischen Hochland, der eines der größten Lithium-Reservoirs der Welt birgt, kommt es gegenwärtig zu großen Demonstrationen und Straßenblockaden. Einige Aktivisten gingen sogar in den Hungerstreik. „Heute ist Potosí wieder auf der Straße, um für die natürlichen Ressourcen unseres Bundesstaates und unseres Landes zu kämpfen“, erklärte kürzlich Marco Pumari vom Bürgerkomitee Comcipo.[1] Die Demonstranten fordern den bolivianischen Präsidenten Evo Morales auf, den Joint Venture-Vertrag zwischen dem bolivianischen Staatsunternehmen YLB („Yacimientos de Litio Bolivianos“, „Bolivianische Lithiumvorkommen“) und der deutschen Firma ACISA („ACI Systems Alemania“), einer Dependance des Unternehmens ACI aus Rottweil (Baden-Württemberg), zu annullieren.
Nicht wenige nutzten die Kundgebungen im Vorfeld der Wahl an diesem Sonntag allerdings auch, um generell ihrer Ablehnung gegenüber der sozialistischen Regierung Ausdruck zu verleihen. Konkret richten sich die Proteste gegen die Weigerung des Gemeinschaftsunternehmens YLB ACISA E.M., an die umliegenden Gemeinden – wie in Artikel 2.27 des Bergbaugesetzes vorgesehen – drei Prozent der Exporterlöse abzuführen. Das Joint Venture, an dem YLB 51 Prozent und Acisa 49 Prozent der Anteile halten, will weit weniger zahlen. Das Lithium sei kein Rohprodukt mehr, sondern schon weiterverarbeitet; es falle deshalb nicht unter den Artikel 2.27, argumentiert YLB ACISA. Die deutsche ACISA sieht ohnehin nur ihren südamerikanischen Partner in der Pflicht: „In welchem Umfang der bolivanische Staat die Bevölkerung an den Gewinnen beteiligt, ist uns nicht bekannt. Acisa hat darauf auch keinen Einfluss.“[2]
Der Salar de Uyuni (auch Salar de Tunupa) in Bolivien ist mit mehr als 10.000 Quadratkilometern die größte Salzpfanne der Erde.
China im Hintertreffen
Bei der Ausschreibung zum Abbau des Rohstoffs, der vor allem für die Herstellung von Batterien für E-Autos von Bedeutung ist, hatte sich der mittelständische Betrieb aus Baden-Württemberg im April 2018 gegen Konsortien aus China, Russland, den USA und anderen Ländern durchgesetzt. „Die Chinesen waren total baff“, äußerte ein Firmenvertreter: „Wenn die sich das gesichert hätten, würden die 75 Prozent des Weltmarktes, des Lithium-Weltmarktes kontrollieren!“[3] Nun allerdings erhält die deutsche ACI über ACISA langfristig Zugang zu dem als „weißes Gold“ bezeichneten Rohstoff. Der Vertrag hat eine Laufzeit von 70 Jahren.
Konzertierte Aktion
Die Bundesregierung hat das Vorhaben tatkräftig unterstützt: Die deutsche Botschaft in Bolivien, das Bundeswirtschaftsministerium und das Auswärtige Amt setzten sich für ACISA ein. Die Landesregierungen von Baden-Württemberg und Thüringen entfalteten ebenfalls rege Aktivitäten. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier telefonierte in der Sache sogar persönlich mit Präsident Morales. „Wir brauchen in Europa dringend Lithium, um unsere Elektro-Mobilität nach vorne zu bringen“, erklärte der Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee im Herbst vergangenen Jahres in La Paz bei der Unterzeichnung der Absichtserklärung zwischen ACI und YLB.[4] Der eigentliche Vertragsschluss fand Mitte Dezember 2018 in Berlin statt. An dem Festakt in der Landesvertretung Baden-Württembergs nahmen unter anderem Bundeswirtschaftsminister Altmaier, der bolivianische Außenminister Diego Pary und der bolivianische Energieminister Rafael Alarcón teil. ACI wurde zudem laut eigenen Angaben von einem „Netzwerk interner und externer Experten, Unternehmen und Institutionen wie beispielsweise K-UTEC Salt Technologies, Fraunhofer-Gesellschaft und VDMA (Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer)“ unterstützt.[5]
12. Dezember 2018, Berlin: Rafael Alarcon, Energieminister Boliviens, Wolfgang Schmutz, Geschäftsführer von ACI Systems Alemania, Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), Wirtschaftsministerin von Baden-Württemberg, Peter Altmaier (CDU), Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Juan Carlos Montenegro, Geschäftsführer des bolivianischen Staatsunternehmens Yacimientos de Litio Bolivianos (YLB) und Außenminister Fernando Huanacuni Mamani unterzeichnen einen Vertrag über die Zusammenarbeit zwischen deutschen und bolivianischen Unternehmen bei der Gewinnung und Verarbeitung von Lithium in Bolivien.
Eine Chance für Bolivien?
„Deutschland sichert sich Zugriff auf weltgrößte Reserven“, hieß es zum Abschluss des Deals triumphierend in der deutschen Wirtschaftspresse.[6] Die Deutsche Rohstoff-Agentur (DERA) lobte: „Das Lithium-Oligopol könnte einen Wettbewerber bekommen“.[7] Zudem wollte die DERA „eine Chance für Bolivien“ erkennen, da das Joint Venture vorhat, sich nicht nur auf den Rohstoffabbau zu beschränken; es plant vielmehr – jedenfalls offiziell – auch den Aufbau einer kompletten Wertschöpfungskette in dem Andenstaat. Diese soll laut ACISA „vom Rohmaterial Lithiumhydroxyd bis hin zu Kathoden-Material und Produktionsanlagen für Batterie-Systeme“ reichen.[8]
„Wieder nur Rohstoff-Lieferant“
Damit erfüllt ACISA Forderungen der Regierung unter Präsident Morales, die nicht nur den Abbau, sondern auch die lukrative Verarbeitung von Rohstoffen im Land halten möchte; sie zieht damit die Lehren aus der Politik ihrer konservativen Vorgänger, die den rücksichtslosen Ausverkauf der Reichtümer des Landes betrieben hatten. Allerdings kommt der versprochene Aufbau einer nennenswerten Rohstoffverarbeitung trotz wiederholter verbaler Bekenntnisse in der Praxis nicht voran. ACISA konzentriert ihre Anstrengungen zur Zeit hauptsächlich darauf, eine Fertigungsstätte zur Gewinnung von Lithium-Hydroxid zu errichten. „Nachdem unsere Anlage dann steht und das mal läuft, geht man den nächsten Schritt“, vertröstet ein Mitarbeiter der Firma und kündigt an: „Wir werden auch eine kleine Batterie-Fabrik aufbauen, also erst mal im kleinen Rahmen.“[9] Selbst daran mehren sich inzwischen jedoch die Zweifel. „Es scheint mir, dass wir allzu viele Zugeständnisse gemacht haben, um etwas zu erreichen, was wir alle herbeisehnen: eine Batterie-Fabrik und einen Absatzmarkt“, urteilt Héctor Córdova, der ehemalige Präsident der staatlichen Bergbaugesellschaft COMIBOL.[10] Auch Oscar Campanini von der bolivianischen Nichtregierungsorganisation CEDIB warnt: „Wir fürchten, dass wir wieder nur als Rohstoff-Lieferant betrachtet werden“. Während die Rohstoffgewinnung konkret voranschreite, stehe das Projekt einer Batteriefabrik in Bolivien noch in den Sternen.[11]
Unter deutscher Kontrolle
Aber auch sonst gibt es zahlreiche Bedenken gegen das Vorhaben. Einige halten generell schon die Auftragserteilung an eine deutsche Gesellschaft für falsch, weil die Bundesrepublik – bislang jedenfalls – nicht zu den Spitzenstandorten in Sachen Batterietechnologie zählt. Andere trauen im Speziellen einem mittelständischen Betrieb wie ACI mit lediglich 50 Angestellten, geringer Kapitalausstattung und überschaubaren Lithium-Erfahrungen nicht zu, das überaus gewichtige Projekt in Bolivien umzusetzen. Zudem stößt das Geschäftsgebaren der Firma auf Kritik. So hat sich ihre bolivanische Niederlassung trotz ihrer Minderheitsbeteiligung am Joint Venture YLB ACISA die Patent- und Gebrauchsmusterrechte gesichert. Auch sonst strebt ACISA entscheidenden Einfluss an. Zwar halte die staatliche bolivianische YLB 51 Prozent an dem Gemeinschaftsunternehmen, erklärt ein Mitarbeiter: „Für die ganz wichtigen Entscheidungen brauchen die trotzdem immer unsere Zustimmung. Das haben wir deshalb so gemacht, weil wir den Markt bringen, die Technik und natürlich Innovationen auch da reinbringen … Das heißt, wir kontrollieren die Finanzströme, die Finanzen und die Technik. Das ist ganz klar festgelegt.“[12]
Noten
[1], [2] Rosa Muñoz Lima: Deutsches Interesse an weißem Gold stößt auf Widerstand. dw.com 08.10.2019.
[3] Karl-Ludolf Hübener: Lithium – die Jagd nach dem „weißen“ Gold in Bolivien. wdr.de 25.08.2019.
[4] Carl Moses: Deutsche Unternehmen fördern Lithium in Bolivien. Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.10.2018.
[5] Rosa Muñoz Lima: Deutsches Interesse an weißem Gold stößt auf Widerstand. dw.com 08.10.2019.
[6] Deutschland sichert sich Zugriff auf weltgrößte Reserven. manager-magazin.de 13.12.2018.
[7] Heike Holdinghausen: Das neue Öl ist weiß. taz.de 13.12.2018.
[8] Nachhaltige und faire Lithiumgewinnung in Bolivien. acisa.de.
[9], [10] Karl-Ludolf Hübener: Lithium – die Jagd nach dem „weißen“ Gold in Bolivien. wdr.de 25.08.2019.
[11] Heike Holdinghausen: Peter Altmaier macht Milliarde locker. taz.de 21.02.2019.
[12] Karl-Ludolf Hübener: Lithium – die Jagd nach dem „weißen“ Gold in Bolivien. wdr.de 25.08.2019.
Quelle: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=27271