Erdogan versucht mit der Stationierung von, durch die USA und die Türkei, ausgebildeten Djihadisten in Libyen zwei Fliegen mit einer Klatsche zu erledigen.
Zum einen entledigt er sich so, der in Richtung türkischer Grenze drängenden Djihadisten aus Idlip, desweiteren will er sich bei seinen immer weniger werdenden Anhängern weiterhin als “starker Mann“ präsentieren. Mit dem Abtransport der Djihadistenmilizen aus Idlip nach Libyen wird Erdogan seine Ziele kurzfristig erreichen, aber die Folgen dieser Aktion für die Völker werden uns lange beschäftigen.
Mit Ausnahme der Tunesier, erleben derzeit alle Völker des sogenannten arabischen Frühlings einen nicht endenden eiskalten Winter. Die Ermordung von Gaddafi im Jahr 2011 ließ Libyen im Chaos versinken. Die islamistischen Söldner, zunächst meist aus arabischen Ländern stammend, wurden nach der Zerstörung Libyens samt ihrer Waffen über die Türkei nach Syrien gebracht, um den nächsten Regimewechsel zu vollziehen. Wie schon in Libyen wurden die Djihadisten vom Westen als Oppositionelle, diesmal gegen das Asad Regime, gefeiert. Und nun bekamen sie Verstärkung aus aller Welt. Besonders aus dem Kaukasus und Asien sammelten sich islamistische Söldner unter verschiedenen Namen, Al Nusra, Al Kaida, Islamischer Staat usw. und riefen zum Djihad.
Nur wollten sich die meisten Syrer nicht vom Asad Regime “befreien“ lassen, sie standen hinter ihrem Präsidenten und hielten, trotz brutaler Angriffe, Ermordungen, Vertreibungen, Hinrichtungen und Gräueltaten an Kindern und Frauen durch. Als dann Russland seinem Verbündeten Syrien zur Hilfe kam, wendete sich das Blatt. Enttäuscht von den Resultaten ihrer Djihadisten, ließ der Westen seine Propagandamaschinerie nun auf Hochtouren laufen. Angeführt von den USA wollte der Westen auch mit am Tisch sitzen und mitreden und begann nun den von ihnen erschaffenen, finanzierten und unterstützten IS zu bekämpfen.
Der gefährliche Plan von Erdogan
In Libyen ist die Türkei seit langem aktiv. Schon zu Zeiten von Gaddafi hatten türkische Baufirmen in Libyen lukrative Aufträge erhalten. Nach der Ermordung Gaddafis blieben sie auf offenen Forderungen in Höhe von ca. 25 Milliarden Dollar sitzen. Hinzu kommen Milliardenbeträge für, während des Bürgerkriegs an Tripoli gelieferte Militärgüter, u.a. Dutzende bewaffneter und unbewaffneter Drohnen “Made in Turkey“, die an die libysche Tripolis-Regierung, für den Einsatz gegen General Haftar, geliefert wurden. In den sozialen Medien kursieren Videos und Fotos von durch General Haftar abgeschossenen türkischen Drohnen.
Über die türkische Militärpräsenz in Libyen ist nicht viel bekannt. Es lässt sich aber durch die Videos/Fotos eindeutig belegen, dass die Lieferung türkischer Drohnen bereits lange, bevor im November 2019 das Abkommen zwischen der libyschen Zentralregierung in Tripolis und der Türkei unterzeichnet wurde, “unter der Hand“ stattgefunden hat.
Dieses Abkommen soll Erdogan auch die Legalität seines Vorhabens der Entsendung von Luft-, Boden- und Marineeinheiten sichern.
Die offizielle Unterstützung soll von dem türkischen Parlament bestätigt werden. In der, dem türkischen Parlament vorgelegten, Vorlage stehen Sätze wie;
„um die türkischen nationalen Interessen zu schützen“, „Abwehr leisten gegen Angriffe durch bewaffnete Gruppen/terroristische Organisationen, die den Interessen der Türkei in Libyen entgegenstehen“ und dies soll solange gelten wie es im “Ermessen von Präsident Erdogan“ erforderlich ist.
Die Abstimmung im Parlament erfolgt am 2. Januar 2020.
Alle gegen alle – Stellvertreterkrieg der Lobbyisten
Die Situation in Libyen ist wie folgt: Die von der UN anerkannte libysche Zentralregierung in Tripolis wird auf dem Papier von den USA, der Anti-IS Koalition, der NATO, Israel, Saudi Arabien, Jordanien, VAE, Katar, Italien sowie den meisten EU-Ländern und natürlich von der Türkei unterstützt.
Geht es jedoch um die eigenen wirtschaftlichen Interessen, verschieben sich die Grenzen der Unterstützung.
So steht z.B. Frankeich offiziell hinter der libyschen Zentralregierung in Tripolis, in der Praxis wird aber General Haftar unterstützt. Der Konkurrenzkampf zwischen den italienischen und den französischen Energiekonzernen um Öl und Erdgas wird zu Lasten einer einheitlichen EU-Politik geführt. So führt bereits eine Gaspipeline unter dem Mittelmeer von Libyen nach Sizilien. Die Italiener versuchen die französische Konkurrenz auszubooten und somit ist eine gemeinsame Haltung der EU nicht in Sicht. Die Italiener verlangen eine Flugverbotszone, um die Bombardierungen von Tripolis durch die Armee von General Haftar zu unterbinden.
Auch Russland, Ägypten, Saudi Arabien, Jordanien und die VAE unterstützen tatsächlich General Haftar, der mehrmals betont hatte, nicht zu Verhandlungen bereit zu sein und um jeden Preis die Macht ergreifen zu wollen. General Haftar wird mit dieser Front gegen die Muslimbruderschaft, die gegen Erdogans Interessen agiert, den Krieg solange fortsetzen wie er militärische Hilfe von seinen Verbündeten erhält und alles daran setzen Tripoli zu übernehmen.
Welche Ziele Russland in Libyen verfolgt ist nicht klar. Außenminister Lawrow hat zu Anfang des Syrienkriegs gesagt „in Syrien machen wir nicht den gleichen Fehler wie in Libyen“ (vor der offiziellen westlichen Intervention in Libyen hatte Russland kein Veto gegen das UN-Mandat eingelegt, woraufhin Libyen platt gemacht wurde). Ist die Beteiligung Russlands in Libyen ihre Abrechnung mit der UN und dem Westen?
Für die Türkei, wie für Russland wäre es ein Stellvertreterkrieg zwischen beiden Staaten. Im Falle der Stationierung türkischer Soldaten mit dem Unterschied, dass Russland keine regulären Soldaten in Libyen einsetzt.
Djihadisten vor der Tür
Der Transport der islamistischen Söldner aus der Türkei nach Libyen bedeutet für die EU, dass gut ausgebildete, kampferfahrene Djihadisten direkt vor ihrer Tür stationiert werden. Anders als die Flüchtlinge, stellen sie eine große Gefahr dar. Erdogan nutzt die Gelegenheit die EU, wie schon mit der “Flüchtlingswelle“, unter Druck zu setzen. Es ist sein Plan, die Djihadisten nicht nur in die von der Türkei besetzten Gebiete Syriens umzusiedeln, sondern auch Teile von ihnen nach Libyen zu senden. Sein unangemeldeter Besuch in Tunesien war jedoch nicht von Erfolg gekrönt, hat man ihm doch weder den Aufbau einer Militärbasis noch die Nutzung von See- und Flughäfen zugestanden.
Zurzeit werden täglich mehrere Flüge, ohne Passagierlisten, von Istanbul nach Tripoli durchgeführt, die Djihadisten nach Libyen transportieren. Die Nachbarstaaten Tunesien, Algerien, Ägypten, der Tschad sowie der Sudan sind zu Recht beunruhigt. Obwohl sich einige dieser Staaten für die Unterstützung von General Haftar ausgesprochen haben, halten sie sich nun bedeckt. General Haftars Armee steht vor den Toren von Tripoli und versucht gleichzeitig die Seehäfen von Tripoli, Al Khoms und Misurata einzunehmen, um die Waffenlieferungen aus der Türkei zu unterbinden. Dies erklärt, weshalb Erdogan mit der Stationierung von Djihadisten und türkischen Streitkräften sowie den Waffenlieferungen Tempo vorlegt.
Unter den Djihadisten in Idlip gibt es Gerüchte, dass die libysche Regierung in Tripoli Söldner anwirbt und ein monatlicher Sold von USD 2000 gezahlt wird (der übliche Djihadisten-Sold liegt bei USD 500). In den sozialen Medien finden sich täglich mehr Videos, von in Libyen eingetroffenen türkeinahen Djihadisten (Nationale Armee Syriens). In diesen Videos stellen sie die üblichen Behauptungen, den Islam gegen die Ungläubigen verteidigen zu wollen, auf und werben dafür, dass weitere Djihadisten nach Libyen kommen sollen.
In Libyen wird derzeit wieder ein neuer Krisenherd geschaffen, der auch eine große Gefahr für die Nachbarstaaten darstellt. Gut für die Waffenhändler, aber tödlich für die Bevölkerung. Die Brutalität der Djihadisten ist aus Syrien bekannt. Auch stellt sich wieder die Frage, wie viele Djihadisten sich unter die Flüchtlinge mischen werden. Terroristen, die ihre Waffen niederlegen, zivile Kleidung anlegen und dann weit weg von dem Terror und der Verwüstung, die sie angerichtet haben, mit ihren blutigen Dollars, aus Raub, Plünderungen und dem Verkauf von gestohlenen Kunstschätzen ein gutes Leben führen.
Der Westen wird versuchen die Flüchtlingsströme aus Libyen zu blockieren. Alle Flüchtenden, auch die echten werden unter Generalverdacht gestellt. Nur verfügen die Djihadisten, im Gegensatz zu den echten Flüchtlingen, über die finanziellen Mittel andere, bessere Fluchtwege zu bezahlen bzw. sogar im lukrativen Schleusergeschäft mitzumischen.
Während Europa Wege finden muss, die von ihnen bzw. von den USA geschaffenen Djihadisten unter Kontrolle zu bringen und die NATO-Propagandamaschinerie gegen den “russischen Dämon“ im Baltikum auf Hochtouren läuft, gewinnt Russland zusehends an Einfluss im Nahen Osten und in Nordafrika.
https://bianet.org/bianet/kriz/217924-libya-tezkeresinde-neler-var
Verfasst für Freiesicht.org