Die Entstehung der Corona-Krise kann nicht analysiert werden, ohne dabei die ausbeuterische Beziehung des kapitalistischen Wirtschaftssystems zur Natur zu betrachten; eine historische Beziehung, die schon seit Jahrzehnten extrem zerbrechlich geworden ist. Jede andere Analyse wäre eine verkürzte Darstellung der Realität, die, gewollt oder ungewollt, eine entpolitisierte Sicht auf die Situation verstärken würde. Je schneller sich die Corona-Pandemie geografisch ausbreitet, desto klarer wird ihre Bedeutung im zeitlich-historischen Kontext. Sie zeigt die Grenzen der Ausbeutung der Natur durch den Menschen durch kapitalistisches System auf und ist sehr wahrscheinlich nur der Beginn einer Reihe weiterer, ähnlicher Krisen.
Erst durch die aus ihr folgende Wirtschaftskrise wurde die Corona-Pandemie und die Krise der öffentlichen Gesundheit überhaupt als „Krise“ anerkannt. Sie findet jedoch entlang schon bestehender größerer und kleinerer Krisen statt, die den Kapitalismus in seiner Untergangszeit (Niedergangszeit) begleiten. Denn die siegreichen historischen Fortschritte des Kapitalismus untergraben immer mehr seine existenziellen Grundlagen und bringen ihn immer mehr an seine Grenzen; die Grenzen, die jenseits unabhängig von Kapitallogik durch die ontologischen Einschränkungen von Mensch und Natur gesetzt werden. Der Niedergang des Kapitalismus geht jedoch einher mit seiner internen Transformation und bedeutet nicht zwangsläufig eine Entwicklung hin zu einer besseren Gesellschaft oder gar zum Sozialismus. Denn die kapitalistischen Verwalter (insbesondere die Staaten) sind mittlerweile an das ständige Auftauchen von Krisen gewöhnt, haben spezielle Managementmechanismen für diese entwickelt und nutzen diese manchmal sogar als „Schock-Therapie“ (der Begriff von Naomi Klein). Anders formuliert: Der Kapitalismus hat die Fähigkeit, sich an die und mit den Krisen anzupassen und die zusätzlichen Kosten der Krise an die Menschen, also die Unterdrückten, weiterzugeben. Die Entstehung des Neoliberalismus zum Beispiel war eine kapitalistische Antwort auf die Wirtschaftskrise Mitte der 70er.
Auch in der gegenwärtigen Doppel-Krise (Gesundheit und Wirtschaft) versuchen die Staaten die Überreste der kapitalistischen Wirtschaftsweise um jeden Preis zu retten. Da diese Krise schon eine einzigartige Tiefe bekommen hat, erfordert aus der Seite von Machthaber das Aufzwingen staatlicher Sondermaßnahmen; das würde heißen eine Wiederherstellung oder Umstrukturierung von gesellschaftlichen Ordnungen.Aufgrund der heutigen historischen Umstände ist es allerdings wahrscheinlicher, dass all das eher zu einer Entwicklung hin zu autoritären politischen Formen führt, basierend auf umfassender Kontrolle; Chinas autoritäres Paradigma hat gerade besondere Anziehungskraft und Legitimität bekommen, was gleichzeitig gut vereinbar ist mit den nationalistischen Zwängen kapitalistischer Wirtschaft.
„Das letzte Wort“ wird jedoch nicht zwangsläufig von Staaten und den anderen Verwaltern des Kapitalismus gesprochen. Wir wissen, dass die neoliberale Entpolitisierung der Gesellschaft(en) und die Folgen der historischen Niederlagen linker Bewegungen den heutigen Unterdrückten viele politische Möglichkeiten für radikale, organisierte Kämpfe gegen das herrschende System genommen haben; auch, dass in der Folge viele Menschen offener für reaktionäre Ideologien geworden sind (sei es Nationalismus, Rassismus oder religiöser Fundamentalismus). Aber das ist nur ein Teil der Realität: Für die heterogenen Massen der Unterdrückten hat der zunehmende Druck des kapitalistischen Produktionsprozesses und die Umwandlung von Gesellschaften in „soziale Fabriken[1]“ nicht bloß zu einer Anhäufung von Frustration und Leid gesorgt. Vielmehr konnten Menschen durch diesen schmerzhaften Prozess viele persönliche Fähigkeiten und kollektive (Kampf-)Möglichkeiten erlernen. Diese Fähigkeiten, zusammen mit den Schmerzen, der Wut und Enttäuschung, ergeben das materielle Potenzial, um die bestehende Ordnung zu verändern und die politische Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Das ist es, was Marx mit seiner Aussage meint, „das Wachstumsniveau der Produktivkräfte hat die sozialen Produktionsverhältnisse überschritten.“
Die tiefe Kluft, die sich in dieser
Krise offenbart, erschafft einen wichtigen historischen Kontext für die
Verwirklichung und Konvergenz dieser potentiellen Subjektivität der
Unterdrückten. Alle früheren Niederlagen der Unterdrückten auf der Suche nach
und dem Aufbau von einer alternativen Gesellschaft können jetzt ein
Leitfaden für einen effektiveren Kampf sein. Wenn „Arbeitskraft“ und Natur zwei
grundlegende Gebrauchswerte für die Aufrechterhaltung der
kapitalistischen Ordnung sind, dann kann der Aufstand der Menschen und deren
„Solidarität“ mit den Aufständen der Natur (wie die Corona-Krise oder der
Klimawandel) dazu führen, dass der Kapitalismus zu einer vergangenen
historischen Phase wird und ein neues Kapitel in der Geschichte der Beziehung
zwischen Mensch und Natur beginnt.
[1]. Die Tatsache, dass in den letzten Jahrzehnten die gesamte Gesellschaft bzw. die gesamte Leben vom Großteil der Gesellschaft zu Arbeitsfeld der kapitalistischen Wirtschaft geworden ist, was ich als eine Folge des Prozess der Proletarisierun betrachten würde.