Vor 16 Jahren, am 07.01.2005, wurde Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeiwache ermordet. Weder die Konstrukte von einem Unfall oder einem Suizid, bei dem Oury Jalloh sich selbst in Brand gesteckt haben soll, noch das Märchen von einem Einzelfall sind glaubwürdig. So hatte genau dieses Polizeirevier eine länger währende tödliche Vergangenheit. Bereits Jahre zuvor sind dort mit Hans-Jürgen Rose (1997) sowie Mario Bichtemann (2002) zwei Menschen ums Leben gekommen. Von systematischen Folterungen der drei Gefangenen im Polizeigewahrsam ist aufgrund der dokumentierten schweren Verletzungen der Leichen auszugehen. Schwere und tödliche Verletzungen in von der Öffentlichkeit abgeschotteten Bereichen, wie dem Polizeigewahrsam, sind Ausdruck tödlicher Polizeigewalt, die zwischen 1990 und 2020 mindestens 159 Menschen das Leben gekostet hat.
Dessau: eine Stadt mit tödlichem Komplex
Die genannten Morde sind Gegenstand von internationalen und unabhängigen Untersuchungen mit dem Ziel, die tödliche Polizeigewalt sowie die polizeilichen Vertuschungen in der sachsen-anhaltinischen Stadt zu rekonstruieren und Verantwortliche benennen zu können. Diese müssen endlich zur Rechenschaft gezogen werden! Denn bei allen drei Vorfällen gab es keine ernsthaften Konsequenzen für die beteiligten Polizisten. Sämtliche Ermittlungen sind letztlich eingestellt worden. Tödliche Polizeigewalt? Angeblich nicht in Dessau.
Dabei weist diese Stadt eine rechte und rassistische Kontinuität auf. Bereits im Jahr 2000 wurde Alberto Adriano
aus rassistischen Motiven von Neonazis im örtlichen Stadtpark ermordet.
Auch danach kam und kommt es immer wieder zu rechten Pöbeleien und rassistischen Angriffen von (organisierten) Neonazis. Und der Faden tödlicher Gewalt riss nicht ab. Ein weiterer Mord durch Neonazis wurde 2008 an Hans-Joachim Sbrzesny verübt.
Neben
der rassistischen und faschistischen Gewalt ist es die Polizei, die das
Unsicherheitsgefühl in einer von Rassismus und rechten Hetze
verschärften gesellschaftlichen Stimmung weiter verstärkt. Neben den
drei Ermordeten sorgte der Mord an der Studentin Li Yangjie
für (internationales) Aufsehen. Nicht das menschenverachtende
Verbrechen allein, sondern die familiäre Verbindung eines Täters mit
einer Polizistin der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost, sorgte für
einen Aufschrei. Die Mutter des Täters wurde beschuldigt, Beweise für
ihren dringend mordverdächtigen Sohn vernichtet zu haben. Obwohl oder
vielleicht gerade weil die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg keinen
Verdacht gegen die Polizistin und Mutter des Täters bestätigen konnte
oder wollte, bleibt der Vertuschungsverdacht auf keinen Fall ausgeräumt.
Schließlich soll sie sich bereits in der Vergangenheit bei anderen
Ermittlungen gegen ihren Sohn eingemischt haben.
Welches Vertrauen die staatlichen Institutionen nach diesen vielen tödlichen Fällen überhaupt genießen sollen, bleibt sehr fragwürdig. Von einem Dessau-Komplex in den Behörden zu sprechen, der die Täter*innen in Uniform nicht nur deckt und Beweise verschwinden lässt, sondern auch straffrei lässt, ist angesichts der mehrfachen Morde angebracht.
Stoppt die Tode im Polizeigewahrsam!
Die
Polizei als bewaffnetes Organ der hiesigen kapitalistischen
Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse ist ein massives Problem.
Nach dem globalen Aufschrei der täglichen, massiven und rassistischen
Polizeigewalt in den USA glauben nur noch die unbelehrbarsten Teile der
liberalen bis reaktionären Kräfte, dass diese staatliche Gewalt
hierzulande kein Problem wäre. Globalen Bewegungen wie Black Lives Matter
kommt der unschätzbare Verdienst zu, die Stimmen von Schwarzen
Menschen, People of Color, Geflüchteten und weiteren subalternen
Bevölkerungsgruppen zu erheben. Dies bedeutet auch Widerstand gegen
rassistische Unterdrückung.
Dass die angeblichen Einzelfälle bei Polizei und Geheimdiensten, die staatliche Förderung neonazistischen Terrors (Thüringer Heimatschutz,
NSU-Komplex und viele mehr) ein Ausdruck des tiefen Staates sind, ist
nicht mehr zu leugnen. Die Kontinuitäten rechten und rassistischen
Terrors, häufig staatlich gedeckt oder sogar gefördert,
müssen aus einer antifaschistischen und antirassistischen Position
heraus stetig aufgedeckt und benannt werden. Bei den staatlichen
Repressionsbehörden und Geheimdiensten kommt da eine gefährliche rechte,
rassistische Kontinuität zum Tragen. So lassen zum Beipiel reaktionärer
Korpsgeist, personelle Kontinuitäten im postfaschistischen Deutschland
seit 1945 sowie häufige Straffreiheit den Beamt*innen viel Raum für ihre
Taten. Die Charaktermaske des sich liberal-bürgerlichen gebenden
Staates muss entrissen werden. Er ist stets bereits, Gewalt gegen Linke,
Geflüchtete und all jene Bevölkerungssgruppen zu fördern und zu
vertuschen, wenn es den Herrschafts- und Kapitalinteressen dient.
Darum sind Initiativen wie Death in Custody sowie die Initiative in Gedenken an Oury
Jalloh, welche die Kontinuität der mörderischen Polizeipraxis
dokumentieren und ins Licht zerren, wichtige Beispiele wie dem
rassistischen und vertuschendem Narrativ der Staatsbehörden ein Gedenken
und ein wahrheitssuchender Druck von unten entgegengesetzt wird.
Oury Jalloh: das war Mord!
Während in den letzten Jahren viele hunderte bis tausende Menschen
den Druck auf den Dessauer Straßen aufrechterhielten, wird angesichts
der Corona-Pandemie zu dezentral stattfindenden Gedenk- und Mahnaktionen
aufgerufen. Aktionen sollen in sozialen Netzwerken unter #WeNeverForgetOuryJalloh dokumentiert werden. Für Berlin wird beispielsweise zu einer Kundgebung an der Landesvertretung von Sachsen-Anhalt aufgerufen. Beteiligt euch an den lokalen Aktionen und engagiert euch mit eigenen.
Angesichts
der omnipräsenten Polizeigewalt und des täglichen Racial Profiling,
bedeutet der logische Schulterschluss zwischen antirassistischen und
klassenkämpferischen Bewegungen Solidarität. Gegen das staatliche
Schweigen und die Schlusstrichmentalität setzen wir unsere Stimmen.
Gemeinsam stellen wir uns gegen tödliche Polizeigewalt und fordern:
Schluss mit Polizeigewalt und Aufklärung des Mordes an Oury Jalloh. Gerechtigkeit jetzt!
LiveStream der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh
07.01.2021 | 15:00 Uhr
Weitere Informationen zum Gedenken an Oury Jalloh, dem Mord an ihm und der Verstrickungen der deutschen Behörden sind auf der Website der Initiative zu finden.
Quelle: https://revoltmag.org/articles/vor-16-jahren-ermordet/