Ob die Verfolgung von Minderheiten oder die Unterdrückung gewerkschaftlicher Bestrebungen, ob Überwachung jugendlicher Aktivitäten – oder was auch immer die angeblich demokratische Regierung Myanmars an repressiven Maßnahmen in den letzten Jahren unternahm, stets geschah dies mit (oft indirektem, dezentem) Verweis auf den Druck der Armee, die sich ja eine Landesverfassung gegeben hatte, um ihre Macht zu sichern. Aber, wer mit einer solchen Bande koaliert und nichts unternimmt, die demokratischen Kräfte des Landes gegen sie zu mobilisieren – der begibt sich eben in Abhängigkeit und genau dies ist jetzt in Myanmar deutlich geworden. Die Wahlen sind nicht so ausgefallen, wie die Verbrecher in Uniform es wollten? Dann eben Schluss mit dem „Demokratie spielen“, wir machen das jetzt wieder wie früher. So faktisch die Begründung des Putsches, von dem sie argumentieren, er sei im Rahmen der (von ihnen diktierten) Legalität. Zum Militärputsch in Myanmar eine aktuelle Materialsammlung vom 02. Februar 2021:
„Das Militär putscht in Myanmar“ am 01. Februar 2021 bei der Deutschen Welle meldete den Vorgang so: „… Neben Suu Kyi seien auch Präsident Win Myint und weitere hochrangige Mitglieder der Regierungspartei am frühen Montag von der Armee festgenommen worden, sagte ein Regierungssprecher. Er rief das Volk auf, Ruhe zu bewahren. Die Streitkräfte kündigten Neuwahlen nach dem einjährigen Ausnahmezustand an. Die Machtübergabe werde nach “freien und fairen allgemeinen Wahlen” erfolgen, erklärte das Militär auf Facebook. “Wir werden eine echte Mehrparteiendemokratie errichten”, hieß es weiter in der Erklärung des Militärs. “Ich möchte unseren Leuten sagen, dass sie nicht vorschnell reagieren sollen, und ich möchte, dass sie gemäß dem Gesetz handeln”, ergänzte der Sprecher der regierenden Nationalen Liga für Demokratie (NLD), Myo Nyunt. Auch er erwarte, vom Militär inhaftiert zu werden. Kurz darauf rief Aung San Suu Kyi nach Angaben der NLD zu Protesten gegen den Militärputsch auf. “Die Maßnahmen des Militärs sind Maßnahmen, um das Land zurück in die Diktatur zu führen”, heißt es in einer Stellungnahme von Suu Kyi. “Ich bitte die Menschen dringend, dies nicht zu akzeptieren und mit ganzem Herzen gegen den Putsch der Militärs zu protestieren.”…“
„Putschist wurde von der EU hofiert“ von Nicola Glass am 01. Februar 2021 in der taz online hebt unter anderem hervor: „… Er wirkt harmlos: Seitenscheitel, Brille und milder Gesichtsausdruck dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Armeechef Min Aung Hlaing als Hardliner berüchtigt ist. Bevor er in die Armee eintrat, hatte er zwischen 1972 und 1973 Rechtswissenschaften in Rangun studiert. Im Jahr 2007 soll er die blutige Niederschlagung der von Mönchen angeführten Proteste gegen die damalige Junta unterstützt haben. Zwei Jahre später führte er eine Offensive gegen Aufständische in der autonomen Kokang-Region nahe der Grenze zu China an. Als Nachfolger des langjährigen Juntachefs Than Shwe rückte er dann Ende März 2011 an die Militärspitze auf. In die Schlagzeilen geriet Min Aung Hlaing wegen der brutalen Verfolgung der Rohingya. Die Offensiven gegen die muslimische Volksgruppe vom Oktober 2016 und August 2017 rechtfertigte er mit „Antiterrormaßnahmen“, nachdem die Rohingya-Miliz Arsa Polizeiposten im Bundesstaat Rakhine überfallen hatte. Die Massenflucht der Rohingya nach Bangladesch spielte er als „Rückkehr der Bengalis in deren angestammte Heimat“ herunter. Im August 2018 ließ Facebook mehrere Zugänge in Myanmar wegen Verbreitung von Hass und Hetze sperren, darunter den von Min Aung Hlaing. (…) So war Min Aung Hlaing im November 2016 zu einem Treffen des EU-Militärausschusses in Brüssel eingeladen worden...“
„In the news: Myanmar’s conflict and crises“ am 01. Februr 2021 bei The New Humanitarian ist eine aktuelle Bestandsaufnahme der verschiedenen Auseinandersetzungen und Krisen in Myanmar, die zusammen den Hintergrund und Grund für den Militärputsch deutlich machen.
„Zurück auf null“ von Alexander Isele am 01. Februar 2021 in nd online kommentiert den Putsch unter anderem so: „… Das zehnjährige Demokratieexperiment in Myanmar ist gescheitert – mit einem Putsch endet der jahrzehntelange Machtkampf von Aung San Suu Kyi mit dem Militär. Zwei Erdrutschsiege ihrer Nationalen Liga für Demokratie und wiederholte Versuche, die in der von der einstigen Junta geschriebenen Verfassung festgelegte Macht des Militärs zurückzudrängen, waren letztlich zu viel: Die Generäle brechen das Experiment ab. Das ist tragisch, nicht nur für Aung San Suu Kyi, der nun weitere Jahre Hausarrest drohen, wie bereits die 15, die sie nach dem ersten Wahlsieg ihrer NLD im Jahr 1990 auferlegt bekam. Tragisch ist es auch für die Bevölkerung, deren Sehnsucht nach demokratischer Teilhabe sich 2011 nach fast 50 Jahren Militärdiktatur in einem Aufblühen des zivilgesellschaftlichen Engagements zeigte, das nun bedroht ist. Tragisch ist es ebenso für die Minderheiten, die für mehr Selbstverwaltung kämpfen. Aung San Suu Kyi hat es nicht verstanden, einen Kompromiss mit ihnen zu finden. Doch dieser ist mit der Militärregierung noch weiter in die Ferne gerückt…“
„Heimkehrchancen sinken weiter“ von Thomas Berger am 01. Februar 2021 ebenfalls in nd online zur Situation der Vertriebenen und der Reaktion regionaler Regierungen: „… Nach dem Militärputsch in Myanmar und der Entmachtung der faktischen Regierungschefin Aung San Suu Kyi hofft das Nachbarland Bangladesch, weitere Rohingya-Flüchtlinge dorthin zurückbringen zu können. Das machte das bengalische Außenministerium am Montag deutlich. Bangladesch hoffe, dass der demokratische Prozess in Myanmar und Frieden und Stabilität erhalten blieben, hieß es. Gespräche über eine Repatriierung der in Bangladesch lebenden Rohingya-Flüchtlinge fanden zuletzt am 19. Januar statt, der dritte Versuch, dieses Mal mit China als Vermittler. Wenige Tage später schrieb Kyaw Tin, Myanmars Minister für internationale Kooperation, einen Brief an Bangladeschs Außenminister AK Abdul Momen. Darin bekannte sich Kyaw Tin zur Rahmenvereinbarung über die Rücknahme der geflüchteten Rohingya, die die Außenministerien der beiden Nachbarn Ende 2017 geschlossen hatten. In den Monaten zuvor hatte es einen Massenexodus gegeben: Nach einer brutalen Militäroffensive in Reaktion auf einen Überfall einer kleinen Rebellengruppen flüchteten Männer, Frauen und Kinder zuhauf über die grüne Grenze. Noch bis über den Jahreswechsel 2017/18 hielt diese Fluchtbewegung an, am Ende hatte Bangladesch weitere 740 000 Rohingya zu beherbergen – zusätzlich zu Hunderttausenden, die schon früher dorthin geflüchtet waren. Die Situation in den Lagerkomplexen um Cox’s Basar hat sich zwar seither geringfügig gebessert. Aber wegen der schieren Masse an Menschen, der Struktur des Geländes sowie begrenzten Ressourcen der Hilfsorganisationen und staatlicher Stellen blieben die Verhältnisse katastrophal. Erst im Januar hatte sich Myanmar erneut zu seiner Rücknahmeverantwortung bekannt, aber wieder um Geduld gebeten. Bangladesch hatte dem Nachbarland eine Liste mit 840 000 Namen übergeben…“
„Statement (Malaysia): No to military coup in Myanmar“ am 01. Februar 2021 bei Europe Solidaire dokumentiert, steht hier als Beispiel für die ganz andere Reaktion der linken und demokratischen Gruppierungen der gesamten Region, die allesamt den neuerlichen Militärputsch deutlich verurteilen und zur Unterstützung des Widerstandes aufrufen. (Siehe dort auch das Dossier zu Burma / Myanmar )
„IndustriALL Global Union condemns military coup in Myanmar and calls for respect for democracy and the constitution“ am 01. Februar 2021 bei IndustriAll ist die Stellungnahme der Internationalen Föderation gegen den Putsch – die hier auch als Beispiel steht für ähnliche Stellungnahmen anderer Verbände – worin wiederum die Stellungnahme der Confederation of Trade Unions Myanmar (CTUM) unterstützt wird, die den Putsch scharf kritisiert und die sofortige Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen fordert.
„Spannungen, vor der Botschaft von Myanmar in Bangkok / Thailand zwischen den Sicherheitskräften und Wanderarbeiter aus Myanmar. Sie demonstrieren gegen den Militärputsch in Myanmar“ am 01. Februar 2021 im Twitter-Kanal von Blxck Mosquito ist ein Videobericht von der Protestdemonstration der ArbeitsmigrantInnen aus Myanmar in Thailand gegen den Putsch – Aktionen, die auch in anderen der zahlreiche Staaten der region organisiert wurden, in denen viele MigrantInnen aus Myanmar arbeiten und leben.
„The Dirty List“ seit Ende 2020 bei der Burma Camapaign UK aktualisiert ist die alljährliche schmutzige Liste der britischen Initiative, in der jene Unternehmen dokumentiert werden, die Geschäfte mit der armee Myanmars machen – und dies wird auch ganz konkret jeweils dargelegt, welche Geschäfte das sind.
„Coup in Myanmar: the army takes over the country“ am 01. Februar 2021 bei der ICL ist die Stellungnahme (und Aufruf) der anarchosyndikalistischen Internationale gegen den Militärputsch in Myanmar. Darin wird neben allgemein insbesondere auch die Solidarität mit dem „Bruderverband“ FGWM in Myanmar unterstrichen.
Auch die Bau- und Holzarbeiter Internationale fordert den Schutz der Menschenrechte in Myanmar, einschließlich der Rechte von Arbeitnehmer*innen und Gewerkschafter*innen – siehe die BWI Global Union auf Twitter und deren Statement
„Im Rahmen des Gesetzes“ am 01. Februar 2021 beim IPG-Journal ist ein Interview von Nikolaos Gavalakis mit Bernt Berger von der Ebert-Stiftung in Myanmar, worin dieser die Argumentation der Putschisten wie folgt wieder gibt: „… Das Militär hat zunächst angekündigt, für ein Jahr die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Nach der Prüfung der Wahl sollen dann Neuwahlen stattfinden. Aufgrund der verschiedenen Machtzentren im Land, basierend auf alten Eliten und Konzernen, die zum Teil den sogenannten „Cronies“ zuzuschreiben sind, gibt es inzwischen starke Interessen, das öffentliche Leben und Myanmars internationale Einbindung nicht zu riskieren. Daher wird die Regierungsnahme wohl vorerst nach den in der Verfassung von 2008 detailliert vorgeschriebenen Vorgaben durchgeführt werden. Dort steht, dass das Militär das Recht hat, den Ausnahmezustand auszurufen, wenn Aktivitäten auftreten, die die Einheit des Landes gefährden. Zu dem in der Verfassung skizzierten Verfahren gehört die Abgabe der Regierungsgeschäfte an den Oberbefehlshaber der Armee sowie die Auflösung des Parlaments. Selbstverständlich lässt sich trefflich darüber streiten, was ein legitimer Anlass ist…“ Und wendet sich (Ebert-Stiftung) gegen Maßnahmen: „Es wurden stets große Hoffnungen in das Land und Einzelpersonen gesetzt, die angesichts der Situation und des Zeitraumes nicht realisierbar waren. Inzwischen haben sich einige Akteurskonstellationen verändert und die Trennlinien sind oft nicht mehr so scharf wie es noch vor fünf Jahren der Fall war. Eine erneute internationale Ächtung würde in erster Linie die Bevölkerung treffen, die durch die Geschwindigkeit des wirtschaftlichen Wandels und der damit verbundenen Ungewissheiten bereits stark unter Druck steht…“
#myanmarmilitarycoup ist der Twitter-Hashtag unter dem zahllose Tweets zum Militärputsch – aus ganz unterschiedlichen Richtungen dokumentiert werden.
Siehe zum Hintergrund u.a.:
- vom 02. September 2019: Der neue zivile Staat in Myanmar: Nicht sehr neu. Und nicht sehr zivil…
- vom 02. Januar 2019: Soziale Ungleichheit in Myanmar – auch ein Erbe des britischen Kolonialismus, aber nicht zuletzt ein Ergebnis aktueller Industrialisierung
- vom 21. Dezember 2015: Eine Zwischenbilanz der Demokratisierung in Myanmar – wie entwickelt sich soziale Demokratie? Mit Schandurteilen gegen Gewerkschafter?
- vom 16. März 2015: Demokratisierung in Myanmar: Nicht zu viel davon, keine Streiks…
- und vor 2012: Burma im LabourNet-Archiv
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=185854