Wieso Menschen so sind, wie sie sind, interessiert niemanden. Man bedient sich an vorhandenen Klischees, um Meinungen zu äußern, ohne sich darüber informiert oder Gedanken gemacht zu haben. Vielleicht ist es zu mühsam oder das Ergebnis könnte ihnen nicht gefallen und deshalb müssen lieber Klischees her. Sei es das Thema „Leitkultur“ oder „kann man sie integrieren?“ oder „sie wollen lieber unter sich bleiben“, usw. immer werden bewusst geschaffene Klischees angeführt. Obwohl die Möglichkeit besteht diese Themen mit Fakten und Hintergrundinformationen seriös zu diskutieren, scheinen weder Politiker, noch die Medien und auch sonst kaum einer Interesse daran zu haben.
Ach ja, die Rede ist von der Gesetzgebung, die eine Integration unmöglich machte, jedoch umso mehr die Spaltung der Gesellschaft vorantrieb. Jahrelange Praxis wurde mit einem einzigen Satz der Kanzlerin „wir wollen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen“ unter den Tisch gekehrt. Die seit 30-40 Jahren bestehende Praxis soll also über den Haufen geworfen werden.
Aber ist das wirklich so? Und geht das so einfach? Mal sehen, bringen wir mal einige Fakten dieser Praxis unters Volk und sorgen für etwas Aufklärung.
Dieses Thema ist sehr komplex, deshalb soll hier nur ein kurzer Überblick zu dieser Thematik gegeben werden.
Als die „Gastarbeiter“ hierher geholt wurden, hat man sie medienwirksam als Helfer gefeiert. Sie sollten das Land wieder aufbauen und helfen das Wirtschaftswunder zu schaffen. Da nach dem Krieg ein Mangel an Arbeitskräften herrschte, bediente die Wirtschaft sich gern im Ausland, holte die „Gastarbeiter“ nach Deutschland.
Damals wurden die Arbeitserlaubnisdokumente noch durch die Arbeitgeber beschafft und in den Personalabteilungen verwahrt. Nach einem Rotationsprinzip sollten die meisten „Gastarbeiter“ für zwei Jahre in Deutschland arbeiten, dann in ihre Heimatländer zurückkehren und durch neue „Gastarbeiter“ ersetzt werden. Nur, wie wir wissen sind Theorie und Praxis zwei Paar Schuhe, die nicht immer zusammen passen. Die Arbeitgeber merkten schnell, dass es viel rentabler ist, nicht alle zwei Jahre gut eingearbeitete Arbeitskräfte gegen neue Arbeitskräfte auszutauschen, die wiederum erstmal eingearbeitet werden müssen. Sie wollten ihre „ertragreichen“, gut eingearbeiteten „Gastarbeiter“ nicht ziehen lassen und behielten sie einfach.
Der Hunger nach mehr „Gastarbeitern“ wurde größer. Das Wirtschaftswunder boomte und die Arbeitgeber waren begeistert mit den ausländischen Arbeitskräften ihre Profite noch zu steigern. Aber waren die „Gastarbeiter“ genauso begeistert wie ihre Chefs? Es dauerte lange bis sie merkten, dass sie zwar eine Arbeitserlaubnis besaßen, diese jedoch nach AfG §19, Absatz 1 erstellt worden war.
Was bedeutet eigentlich AfG §19, Absatz 1? Nun, diese Arbeitserlaubnis, man beachte „Absatz 1“, ist an das Unternehmen, bei dem der „Gastarbeiter“ eingestellt worden ist, gekoppelt. Während sich also der deutsche Kollege eine neue Arbeitsstelle suchen kann, wo z.B. die Arbeitsbedingungen besser sind oder höhere Löhne gezahlt werden, kann der „Gastarbeiter“ nur in diesem einen Betrieb arbeiten. Fehlende Kenntnis der deutschen Sprache und Gesetzgebung stellten eine unüberwindbare Hürde dar. Erst nachdem die Arbeitserlaubnis verlängert worden war, konnten einige der besser informierten „Gastarbeiter“ anstelle von Absatz 1, den Absatz 2 eintragen lassen soweit das Gesetze es erlaubte. Sie durften sich nun, so wie ihre deutschen Kollegen, ihren Arbeitgeber selber aussuchen.
Die Unterbringung der „Gastarbeiter“ in Männer- bzw. Frauenwohnheimen war alles andere als komfortabel. Drei bis vier Personen mussten sich ein Zimmer teilen. Dieser Umstand ist, auch ohne den durch Schichtarbeit vorhandenen Stress, nicht unproblematisch, bei unterschiedlichen Schichten der Bewohner (eine/r muss schlafen, eine/r muss deshalb still sein, eine/r muss sich für die Arbeit fertig machen) jedoch kaum zumutbar. Die Gemeinschaftsduschen und –Toiletten stellten ebenfalls eine große Herausforderung dar. Einige Menschen mussten mehrere Jahre unter diesen Bedingungen leben. Andere hatten Glück und bekamen mithilfe anderer „Gastarbeiter“ bessere Unterkünfte.
Vor den Frauenwohnheimen spielten sich dramatische Szenen ab. Die Heime wurden von alleinstehenden Männern, in der Hoffnung Kontakt zu alleinstehenden Frauen aufzunehmen, regelrecht belagert. Frauen konkurrierten um die „besten“ Männer und Männer um die „besten“ Frauen, nach Möglichkeit aus dem jeweiligen Heimatland, um Sprachbarrieren zu vermeiden. Also innen pfui und außen pfui!
Diese Zustände dauerten Jahrzehnte an, ohne dass der Großteil der deutschen Bevölkerung irgendetwas davon mitbekam. Sie genossen den wirtschaftlichen Aufschwung und jagten den vielen, neuen Konsumgütern hinterher, während die Erzeuger ebendieser Konsumgüter im Dunklen unter unwürdigen Bedingungen arbeiten und leben mussten.
Viele Ausländer arbeiteten in den Bereichen, wo deutsche Kollegen nicht arbeiten wollten: auf Schiffswerften, wo sie in engen Räumen Schweißarbeiten ausführten und dabei giftigen Gasen ausgesetzt waren; oder in Atomkraftwerken, wo sie mit Schlauchbooten im Kühlwasser zu den Stellen gelangten, wo sie Schweißarbeiten durchführen mussten. Bei dieser Arbeit waren sie hohen Strahlungen ausgesetzt. Aber sie ahnten nicht, welche gesundheitlichen Schäden diese hervorrufen konnten. Viele dieser Arbeiter erreichten nicht mal das Rentenalter.
Endlich eigene Wände…
Die ersten Wohnungen, die „Gastarbeitern“ anmieten konnten, waren in miserablem Zustand. Halb verrottete Häuser, keine Toiletten, keine Duschen… Auch diese Situation war von längerer Dauer.
Da es für die meisten unerschwinglich war in ihre Heimat zu fahren, fühlten die Menschen sich fern von ihren Familien sehr allein. Einsame Männer und Frauen wollten endlich ihre Familien nachholen oder gingen zurück in ihre Heimat. Nach der Ölkrise 1974 wurde ein Aufnahmestopp für „Gastarbeiter“ beschlossen und auch die Familienzusammenführung immer mehr erschwert.
Die politische und wirtschaftliche Entwicklung in den Heimatländern erschwerte zusätzlich die Entscheidung für immer zurückzukehren.
Viele Italiener, Griechen, Spanier, Portugiesen wagten es zurückzukehren nachdem ihre Länder in die EU aufgenommen worden waren. Sie hatten die Sicherheit ggf. wieder nach Deutschland zurück kehren zu können.
Nur über die Probleme im Rahmen der Familienzusammenführung in Deutschland könnte man mehrere Artikel schreiben, aber wir wollen versuchen diese Thematik, ohne tief einzusteigen, kurz darzustellen.
Ein einfaches Beispiel: Ein Mann/eine Frau holt seine/ihren Partner/in zu sich nach Deutschland. Das geht nur, wenn das Einkommen des „Gastarbeiters“ ausreicht eine weitere Person zu ernähren und wenn er eine entsprechende Wohnung hat.
Der/die nachgeholte Mann/Frau kann zunächst nicht arbeiten und bleibt zu Haus, da er/sie keine Arbeitserlaubnis bekommt. Damals bestand erst nach 5 Jahren Aufenthalt in Deutschland der Anspruch auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis. Die Aufenthaltserlaubnis wurde, je nach Status des Partners, für 1-2 oder 3 Jahre erteilt. Dies hat sich im Laufe der Zeit mehrmals geändert.
In den ersten Jahren nach der Familienzusammenführung kamen Kinder – die 2. Generation – zur Welt. Da die nachgeholten Ehepartner, zum Großteil Frauen, aufgrund der nicht erteilten Arbeitserlaubnis zu Hause bleiben mussten, durften diese Kinder nicht in den Kindergarten gehen. Die Mütter, die ja ohne Arbeitserlaubnis kaum Möglichkeiten hatten mit der deutschen Bevölkerung in Kontakt zu kommen, konnten somit auch nicht die deutsche Sprache lernen. Mit den Kindern der 2. Generation wurde also zu Hause in der Muttersprache gesprochen; sie hatten keine Kontakte zu deutschen Kindern, da sie nicht in den Kindergarten gehen durften und in Stadtvierteln wohnten, in denen die Mehrheit der Bewohner Migranten waren. Ihnen war der Zugang zur deutschen Sprache und Gesellschaft von vornherein verwehrt.
In den 80er Jahren wurde z.B. Polen ein Sprachkurs von 8 Monaten vom Arbeitsamt bewilligt. Die Voraussetzung für den Besuch eines Sprachkurses sei gegeben, weil in Polen gearbeitet bzw. zur Schule gegangen worden sei. Für Türken aber wurden keine Sprachkurse bewilligt. Sie mussten private Schulen besuchen, wenn sie kein Geld hatten, mussten sie zusehen, wie sie Deutsch lernen konnten. Zu Hause brachten sie ihren Kindern das gebrochene deutsch bei, das sie selber gelernt hatten.
Weiterhin lebten auch viele Kinder der 2./3. Generation während ihrer ersten Jahre bei ihren Großeltern in den Heimatländern. Wenn beide Eltern Arbeit hatten, bedeutete das nämlich nicht, dass ein bezahlbarer Kindergartenplatz zur Verfügung stand. Viele arbeiteten im Niedriglohnsektor.
Aufgrund ihrer fehlenden Deutschkenntnisse wurden viele Kinder der 3. Generation nach dem Einschulungstest auf Sonderschulen geschickt.
Das Arbeitsförderungsgesetz (AfaG §19)[1] verhinderte die duale Ausbildung tausender ausländischer Jugendlicher. Auch wenn der ausländische Jugendliche und der Arbeitgeber sich einig waren und einen Ausbildungsvertrag schließen wollten, wurde dies mittels §19 unmöglich gemacht, da der Ausbildungsplatz vorrangig deutschen Jugendlichen zur Verfügung stand. Die Jugendlichen, die durch die Familienzusammenführung hierher kamen, besaßen nicht den erforderlichen Aufenthaltsstatus, um eine Lehre anzufangen. Die Gewerkschaften haben sich dieser Thematik niemals angenommen….
Ohne adäquate Bildungsmöglichkeiten, ohne Teilhabe am Leben und Wirtschaften der originären Gesellschaft, ausgeschlossen von Entscheidungen der originären Gesellschaft, ohne Mitbestimmung, bildet sich zwangsläufig eine sogenannte „Parallelgesellschaft“.
Dies wiederum nährt Rassismus und schafft Klischees. Die Rolle der Medien ist hierbei nicht unbedeutend. Egal welches „Ausländerthema“ im Fokus steht, es werden Frauen mit Kopftüchern gezeigt und das obwohl diese, auch innerhalb der ausländischen Bevölkerung, eine Minderheit darstellen.
Aber zurück zur Kanzlerin und ihrer Aussage „Wir wollen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen“. Das war vor einem Jahr. Ist das Arbeitsförderungsgesetz §19, Absatz 1-2 geändert worden? Fortschritte wie Sprachkurse oder die Erleichterung der Arbeitsaufnahme durch Flüchtlinge dienten in erster Linie wirtschaftlichen Aspekten.
Die Zahl der Einbürgerungen stieg rasant, die potenzielle neue Wählerschaft “Deutsche mit Migrationshintergrund“ stieg und erreicht eine Dimension, die Wahlen entsprechend mitentscheiden könnte. Aber sie haben längst die Geschichte ihre Eltern vergessen, sie haben ein genau so schlechtes Kurzzeitgedächtnis, wie der Rest der Gesellschaft.
Sie lassen sich nicht mehr hin und hier schubsen wie ihre Eltern oder Großeltern, aber vor den Vorurteilen und Klischees können sie sich auch nicht retten. Sogar ihr passiver Widerstand wird von manchen Kreisen als Provokation begriffen. Die junge Migrantengeneration ist zwar in Deutschland “angekommen“, aber nicht in solchen hohlen Köpfen.
[1]Die gesetzlichen Änderungen müssten über einen Zeitraum von 30-40 Jahren betrachtet werden. In diesem Zeitraum wurden viele Gesetze bzw. Verordnungen in Bezug auf Zuwanderung erlassen. In diesem Artikel soll nur auf Themen aufmerksam gemacht, die sich über diese Jahrzehnte hinziehen.
Verfasst für Freiesicht. org