Im Sommer 2021 soll eine Delegation der EZLN und anderer Gruppen nach Europa kommen. Ein Teil der Delegation befindet sich bereits auf dem Weg mit einem kleinen Boot mitten auf dem Atlantik. Wir sprachen mit Bahram und Feli von Ya Basta Rhein-Main und Teil des bundesweiten Vorbereitungskreises für die zapatistische Reise.
Die Zapatist:innen haben ja schon mehrfach große Delegationen quer durch Mexiko entsandt. Zuletzt wohl im Rahmen der „Anderen Kampagne“ in Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2006, bei der sie quer durchs Land gereist sind um mit allen sozialen und politischen Bewegungen zu reden. Was sind die Ziele und wie ist die Idee der nun geplanten Delegation entstanden?
Bahram: Diese Reise jetzt ist quasi ein weiterer Schritt von den verschiedenen Aktionen, die du erwähnt hast. Diesmal nur außerhalb von Mexiko. Also mit vielen sozialen, kämpferischen Bewegungen, kämpferischen Frauen zusammen zukommen um sich zuzuhören, sich gegenseitig anzunähern.
In unseren ersten Gesprächen haben wir es so verstanden, dass eine Delegation kommt und wir machen Veranstaltungen, damit sie über die Situation in Chiapas berichten können. Aber die Zapatist:innen haben klargestellt, dass das nicht das Ziel ist. Sie wollen hören, sie wollen in eine Kommunikation eintreten. Ihre Idee ist nicht nur, dass sie sich vorstellen, sondern auch dass wir uns vorstellen und sagen, was wir machen und was wir zusammen machen können. Sie haben dann eine Reihe von Kommuniqués veröffentlicht. Im letzten Kommuniqué, der “Deklaration für das Leben”, haben sie dann klargestellt, dass sie kommen um in diese Auseinandersetzung zu treten und dass der ein oder andere diese Zusammenarbeit vielleicht weiterführt und andere aber auch sagen werden: Nein das reicht mir, das war es auch für mich.
Also zu der Frage: was erwarten sie von dieser Delegationsreise? Das ist von Seiten der zapatistischen Befreiungsbewegung ganz offen, was danach passiert. Wichtig ist erstmal, dass wir zusammenkommen und Ohren für die anderen haben.
Ihr habt gesagt es gibt bisher wenig spezifische Erwartungen. Welche Erwartungen habt ihr, was europäische Gruppen, während der Delegation vorstellen können?
Feli: Die EZLN hat ganz klar gesagt, sie wollen sich mit allen Menschen treffen, die von links und unten Widerstand leisten. Im ersten Kommuniqué, in welchem sie die Delegation bekannt gegeben haben, nennen sie auch vier große Bereiche. Einmal stellen sie das in den Kontext der zunehmenden Gewalt gegen Frauen. Weiterhin geht es um die zunehmende Umweltzerstörung und die Rücksichtslosigkeit der Ressourcenausbeutung. Die kapitalistische Ausbeutung und die ganz neue Situation in der Corona-Krise, mit der Vereinzelung und dem fehlenden Zusammenhalt sind auch Thema. In sofern sagen sie, alles was in diesem Kontext steht und alles was in diesem Kontext an Widerstand stattfindet, ist interessant für sie. Das möchten sie kennenlernen. Und ich denke, so wird das auch hier diskutiert. Also alle Leute, die gegen den Kapitalismus aufstehen im weitesten Sinne, in all seinen Facetten, das sind diejenigen Leute, die auch ein Interesse daran haben, sich mit den Zapatist:innen auseinander zu setzen.
Bahram: Im Rhein-Main Gebiet haben wir einen Aufruf an alle Gruppen veröffentlicht sich an der Planung zu beteiligen. Die Gruppen, die interessiert sind, haben sich dann gesammelt und das Spektrum reicht jetzt von antirassistischen, anti-koloniale Bewegungen, wie Black-Power, Migrantifa, selbstorganisierten migrantische Gruppen bis zum Danni, Umweltgruppen, Gruppen, die für eine Stadt-für-alle kämpfen, lesbische Frauen, LGBTIs. Das Spektrum ist groß. Ausgeschlossen sind aber parteipolitische Gruppierungen, weil wir nicht für parteipolitische Interessen ausgenutzt werden wollen. Deshalb haben wir uns gegen solche Gruppen ausgesprochen. Also zum Beispiel die Grünen. Also wirklich von links und unten, außerparlamentarisch.
Wir werden hier einige Aktionen haben. Überlegt haben wir einen großen Aktionstag, der vier Punkte in Rhein-Main umfasst: Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GiZ), das ist das Organ, welches internationale Politik der deutschen Regierung in der sogenannten dritten Welt durchsetzen soll; dann gehen wir zu BAFA, das ist das Amt, welches deutsche Waffenlieferungen ins Ausland genehmigt, dann geht es weiter zu BlackRock, eine ganz bekannte Institution in der kapitalistisch-neoliberalen Welt. Am Ende dann zur EZB (europäische Zentralbank), dem höchsten Gremium der Durchsetzung der deutschen imperialistischen Politik im Ausland.
Wir werden dann auch einen Tag an die faschistischen Angriffe in Hanau erinnern. Es wird von anti-kolonialen Gruppen auch ein Stadtrundgang vorbereitet zur Kolonialgeschichte Deutschlands. Ihr wisst, hier in Hessen gibt es eine schwarz-grüne Regierung, und wo die Grünen regieren gibt es immer Abschiebungen, deshalb wollen wir auch zu einem Abschiebeknast gehen in Darmstadt. Auch den Dannenröder Forst wollen wir für eine antikapitalistische Zusammenkunft besuchen. Es gibt auch die Idee eines Tages gegen die Waffenindustrie in Kassel. Als Abschluss möchten wir gern mit der Delegation in die KZ-Gedenkstätte in Buchenwald fahren. Buchenwald ist für uns ein symbolischer Raum, um uns die deutsche Geschichte nochmal vor Augen zu halten und zu zeigen, was deutsche Geschichte bedeutet und warum Deutschland heute so ist, denn das ist ja ohne diese Geschichte nicht verständlich. Aber es ist auch symbolisch, weil dort vor allem auch die Kommunisten und politischen Häftlinge vernichtet werden sollten.
Aber es soll auch viele Workshops, Feste und Feiern geben.
Wie ist denn die politisch-organisatorische Lage derzeit Vorort? Wie ist die Situation mit Corona in Mexiko?
Feli: Die Situation in Mexiko ist fatal. Die letzte Nachricht war, dass Mexiko an dritter Stelle der Sterbefälle weltweit im Bezug zu Covid-19 steht. Die Regierung ist extrem dilettantisch im Umgang mit der ganzen Situation. Das Gesundheitssystem ist ohnehin kein gutes. Nur für Menschen mit Geld steht eine gute Versorgung zur Verfügung. Auf der anderen Seite sind die Menschen in keiner Weise in der Lage Beschränkungen der Kontakte umzusetzen, weil in Mexiko extrem viele Menschen darauf angewiesen sind, jeden Tag zur Arbeit in sehr prekären Verhältnissen zu gehen. Die Situation ist katastrophal.
Die Situation in den zapatistischen Gemeinden in Chiapas ist grundsätzlich anders. Der Umgang war von Anfang an schon anders. Mit ihren eigenen Mitteln aber sehr konsequent, haben sie dafür gesorgt, dass die Zahl der Toten in ihren Gebieten sehr niedrig ist. Bis November sind nur acht Tote zu beklagen gewesen.
Die politische Situation hat sich in den letzten Jahren nicht verbessert. In der Regierung gibt es ja einen Präsidenten, der als angeblich links angetreten ist und im Sinne der Bevölkerung, der armen Menschen regieren wollte. Das hat sich nie bewahrheitet. Viele Menschen hatten das aber erwartet. Die Zapatist:innen selbst nicht. Die Großprojekte, die auch gerade in Chiapas laufen, werden weiter voran getrieben. Die Militarisierung der Gesellschaft und der Polizeikräfte geht weiter, die Repression gegen die sozialen und gewerkschaftlichen Bewegungen geht weiter und auch die Femizide haben nicht nachgelassen. Das ist die politische Situation.
Gerade in Chiapas ist die indigene Bevölkerung extrem unter Druck durch die Großprojekte, wie z.B. das Projekt des “Tren Maya”. Ich denke, dass ist auch mit ein Grund für die Delegation, um darauf nochmal einen Fokus zu legen. Denn natürlich geht es auch darum die Solidarität für den Widerstand in Mexiko wieder mitzunehmen.
Vor nicht all zu langer Zeit wurde von der EZLN ja bekannt gegeben, dass die Selbstverwaltung massiv ausgeweitet wurde. Gerade in einer Zeit, wo viele Bewegungen in der Defensive sind, sind sie in die Offensive übergegangen. Das ist ziemlich bemerkenswert.
Bahram: Ich glaube, die Zapatist:innen kennen den Wert der Sprache und der Wörter genauso, wie sie den Wert von Stille kennen. Sie haben der Zeit, in der sie nicht redeten, wo es keine Kommuniqués und Aktionen gab, einen Wert gegeben. In dieser Zeit haben sie wie die Ameisen ganz viel gearbeitet und gebaut. Deshalb kommen plötzlich so viele neue Gemeinden zur Selbstverwaltung dazu. Sie sind nicht still, auch wenn wir hier nichts davon hören. Diese Taktik wiederholt sich seit 25 Jahren immer wieder. Sie reden nicht, denn dadurch kann der Feind nicht einschätzen wo du stehst. Militärisch und politisch bist du weniger angreifbar. Ich kann mich erinnern, als einmal fast zwei Jahre diese Stille war, kamen in den Zeitungen plötzlich Nachrichten über Geliebte von Subkommandante Marcos, so wie in diesen Klatschblättern. Nur damit sie irgendetwas sagen, ein Dementi herausgeben. Das ist natürlich nicht einfach, denn die Gesellschaft und auch die Linke zwingen dich ja unaufhörlich etwas zu sagen. Aber es geht darum etwas aufzubauen. Die Offensive im letzten Jahr war dann quasi um zu zeigen: „Schaut her, wir haben unaufhörlich gearbeitet und viele neue Gemeinden aufgebaut, in der Zeit wo wir still waren.“
Was motiviert euch denn an der Vorbereitung mitzuwirken?
Bahram: So eine Vorbereitung für die Delegation bedeutet für mich auch immer auf alle anderen Beteiligten zuzugehen und ich glaube, das ist für uns selbst eine Erfahrung, zu hören, was die anderen Gruppen machen wollen. Wir lernen gerade sehr viel, wie alle an die Themen rangehen und auch welche Themen für die anderen wichtig sind. Das sind ja auch ganz oft andere Themen, als wir kennen. Und genau das ist die Hoffnung, die ich mit der Vorbereitung der Reise verbinde.
Feli: Ob die Ziele der Delegation – unsere, aber auch die der Zapatist:innen – erfüllt werden, hängt auch an jedem einzelnen von uns. Es gibt einfach niemanden, an den man diese Verantwortung delegieren sollte. Wir brauchen jeden einzelnen mit all seinen Fähigkeiten, um das zum Leben zu erwecken. Seien es die Übersetzer:innen, die Busfahrer:innen, die Techniker:innen, die vielen Leute, die ihre Erfahrungen weitergeben wollen und nicht zuletzt diejenigen, die Fragen an die Delegation haben. Auch die Leute, die Geld einbringen oder Solikonzerte organisieren. Alle, die mithelfen, dass es ein Erfolg wird und damit meine ich auch, dass wir hier etwas unter uns dauerhaft verändern und uns im Widerstand stärken. Dass für uns klarer wird, dass wir diesen Kapitalismus weder humanisieren, noch reformieren noch irgendwie bändigen können, sondern zerstören müssen. Dafür brauchen wir alle, die schon teilnehmen und alle die sich noch beteiligen wollen. Und daran möchte ich mitwirken.
Bahram: Es ist ja auch ein Happening. Wir reden von einer 120-köpfigen Delegation plus 20 Leute aus dem nationalen Indigenen Kongress (CNI), plus 20 Leute von der Front der Völker zur Verteidigung von Wasser und Land (FPDTA-MPT). Dass heißt, wir reden über eine Delegation von 160 Leuten. Als wir in Deutschland entscheiden sollten, wie viele kommen sollen, haben wir gesagt 50 Leute für drei Wochen in Deutschland. Kürzlich haben wir dann gehört, dass mindestens in drei Gebieten in Deutschland alle 160 Delegierten kommen sollen, weil wir das sonst nicht schaffen. All das, was wir geplant haben. Wir werden, auch wenn die 160 Leute kommen, nicht alles in drei Wochen schaffen. Das hat sich schon gezeigt. Ob das alles gut funktioniert wissen wir nicht. Sicher kann auch mal was schief gehen, aber auch dann ist es nicht schlimm. Wir freuen uns wenn es losgeht, denn es ist eine einmalige Chance.
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