Buchbesprechung:
»Als Macht des Fangens, des Ergreifens und des Polarisierens war der Kapitalismus stets auf das Instrument der Rasse angewiesen, um die Ressourcen der Erde auszubeuten. Das war gestern so. Und es ist heute so, da er sich daranmacht, sein eigenes Zentrum zu rekolonisieren, und die Aussichten auf ein Schwarzwerden der Welt deutlicher als jemals zuvor zutage treten.« (S. 325).
Die Kritik der schwarzen Vernunft ist kein Buch, das zum Weiterlesen zwingt, viel eher möchte man es lieber weglegen, um doch wieder einen der erbaulichen »Klassiker« zur Hand zu nehmen, und eben darin liegt seine unumstrittene Qualität. Eine Rezension zu diesem Text zu schreiben konfrontiert mit demselben Sich-falsch-am-Platz-fühlen wie jede Arbeit zu Frantz Fanon. Als vermeintliche Mitkonstrukteurin eines Westens, der sich in Abgrenzung versteht zum Osten, zu Afrika und allen Teilen der Welt, die er festschreibt, um selbstbewusst zu sein, könnte man mir vorwerfen, nur verzerrte Meinungen aufzuschreiben. Diese Gefahr ist nicht auszuschließen, doch ziehe ich es vor, die Kritik der schwarzen Vernunft dennoch vorzustellen, um sicherzugehen, dass geredet wird, dass auch andere es weglegen müssen, um durchzuatmen, da Wirklichkeiten, die eigentlich einfach sind, an diesem Ort endlich so komplex formuliert hervortreten, dass die Philosophie sich nicht entziehen kann, vermutlich zu reagieren hat.
Achille Mbembe nimmt sich des Projekts der Entkolonialisierung Frantz Fanons an, um es mit zeitlichem Abstand weiterzudenken sowie um seine Bedeutung für Wissenschaftstheorien sichtbar zu machen. Ihm geht es darum, Universelles zu finden, die benennenden Begrifflichkeiten sind Mbembe allerdings suspekt geworden. Die zu stellende Frage ist, wie das Denken einem Freiheitskampf entsprechen kann, der sich dadurch auszeichnet, begrifflich nicht fassbar zu sein, einem Freiheitskampfder von jenen ausgeht, die nicht herrschende Sprachen sprechen sowie ihre Art der Konstruktion nicht akzeptieren können, möchten sie ihre Gefängnisse verlassen.
Oben, am Beginn meiner Darstellung steht das Ende Achille Mbembes Buch Kritik der schwarzen Vernunft. In diesen paar Zeilen scheint mir Mbembes Intention, dieses Buch zu schreiben, zusammengefasst. Unter dem Motto »Kein Buch, das die Welt nicht braucht« will der Text eine bestimmte Sache. Es geht darum darzulegenwie eng Kapitalismus und Rassismus ineinander verwoben sind, wie sehr es einer Hierarchisierung des Menschen bedarf, um radikale Ausbeutungsverhältnisse zu rechtfertigen, sowie die Frage nach der kommenden Gesellschaft gestellt wird, die sich durch eine »Sorge um das Offene« (S. 331) auszeichnet, die mit Frantz Fanon über die notwendige Betonung von Differenz hinausgehen kann, um jenseits von Rache und Unterdrückung leben zu lernen. Für die Philosophie bedeutet dies Selbstzweifel, Begriffe und Sprache werden für Mbembe grundsätzlich suspekt. Er fordert mit Léopold Séda Senghor und Aimé Césaire Universelles, das sich stets am Besonderen dekliniert, den »[…] Ort einer Vielzahl an Besonderheiten, deren jede nur das ist, was sie ist, also das, was sie mit anderen Besonderheiten verbindet oder von ihnen unterscheidet« (S. 288).
Rasse: Die Formationen »Rasse« und »Neger« entstehen als Aspekte der – sich als die westliche und einzige verstehende – Moderne. Der Neger wird als das durch Rasse bestimmte Subjekt produziert, er findet sich abseits von der Gleichheit der anderen gekennzeichnet durch sein Unterschiedensein. Das Weißsein braucht den Neger als Gegensatz, um sich selbst als westliche Phantasie zur Welt zu bringen. Benennungen fixieren die Herrschenden, jene die sich kriegerisch und gewalttätig durchsetzen konnten. Sich selbst bezeichnend als der Westen, wird das Subjekt der Unterdrückung, der Neger, zur Sicherstellung der eigenen Vorherrschaft verwirklicht. Dieser Begriff Neger steht für einen Ausbeutungskörper, der dem Willen eines Herrn unterworfen ist. Das Rassensubjekt wird durch Entzug der bürgerlichen Rechte konstruiert, zum Träger der Möglichkeit von Rechtsunfähigkeit.
Die schwarze Vernunft nun bedeutet eine Vielzahl von Aussagen. Es handelt sich um einen Diskurs, der den Sinn birgt, Rituale zu wiederholen, um den Neger, das Rassensubjekt, das Subjekt der Ausbeutung, zu fixieren, abzuwerten, zu instrumentalisieren. Es soll folglich darauf hingewiesen werden, dass die Festlegung von Bedeutung, von Beschreibungen sowie deren Wiederholung zu jeder Zeit mit der Konstruktion eines Ortes in der Welt einhergeht, mit der Einordnung in fremdbestimmte Zwänge des Zusammenlebens.
Der Neger zeichnet sich – so Mbembe mit Fanon – durch drei Elemente aus: das Moment der Zuschreibung, das Moment der Übernahme und Verinnerlichung und endlich durch die Um- oder Verkehrung als erstes Moment der Rebellion, der Rückgewinnung der eigenen Menschlichkeit, die ihm durch Folter genommen wurde. Der Neger ist als fremdkonstruierte Identität erschaffen, um sich dieser zu entziehen, wird er selbst zum Nichtgreifbaren einer Negativität.
Rassismus bedeutet folglich, Identitäten zu konstruieren, die aus fremder Perspektive Selbstbeschreibungen entwerten. In diesem Sinn kann jeder Mensch zu dieser Figur des Abseits werden, Rasse ist ein abstraktes Instrument der Eingrenzung und Abwertung und in diesem Sinn ein formales Mittel der Bestätigung eines herrschenden Ungleichverhältnisses. Rassismus konstruiert »Figuren radikaler Exteriorität« (S. 77).
In diesem Sinn nimmt Mbembe die Figur des Gespenstischen wieder auf, da den Ausgeschlossenen lediglich die Möglichkeit des Maskierens bleibt, des Improvisierens und des Sich-in-Veränderung-Befindens, um fragmentarisch Freiheit zu verwirklichen. Ausgezeichnet ist diese Seinsweise im nicht linearen Erleben von Zeit. Ereignisse beginnen, mischen sich, kommen allerdings nicht an ein Ziel. Weiters, und mit dem ersten Punkt eng verwandt, sind Geister fähig, Fragment zu sein, sich in andere Fragmente einzufügen, sich mit ihnen zu verbinden. Drittens und schlussendlich findet das Geistersubjekt keine einmalige Form, es gleitet.
Kolonie: Möchte man nun einwenden, dass sich die Zeiten verändert haben, Frantz Fanons Kritik nicht mehr aktuell ist und eine Neuauflage die Probleme der Gegenwart verkennt, so sei einerseits darauf hingewiesen, dass der von Fanon eröffnete Horizont eines neuen Humanismus, einer Menschheit, die sich nicht kriegerisch begegnet, noch lange nicht betreten istobwohl sich das Konstrukt der Kolonie allerdings als Ort oder Daseinsweise klar geändert hat, welchem Umstand Mbembe entsprechen möchte. Die Kolonie zeichnet sich dadurch aus, eine Traumwelt zu sein, die zum Albtraum wird, da sie vom Zufall organisiert ist. In diesem Sinne ist sie rechtloser Raum, permanenter Ausnahmezustand sowie eine Maschine, die Phantasien und Wünsche erzeugt, so Mbembe. Das vom Rassismus benannte Subjekt wird mit der Aussicht auf das andere Leben, mit der Aussicht auf Teilhabe am herrschenden System verführt, um Wohlstand höchstens zufällig und zum Preis von Gefangenschaft erhalten zu können.
»Nach dem zweiten Weltkrieg wird der Kolonialismus den Kolonisierten drei weitere Güter vor Augen führen: Bürgerrecht, Nation und Zivilgesellschaft. Bis in seine Endphase hinein wird er ihnen jedoch den Zugang dazu verwehren. Wie der Islam und das Christentum, so ist auch die Kolonisierung ein Universalisierungsprojekt. Ihr Ziel ist es, die Kolonisierten in den Raum der Moderne hereinzuholen. Aber ihr [die Kolonisierung] vulgärerer Charakter, ihre oft ungenierte Brutalität und ihre Unaufrichtigkeit machen sie zu einem perfekten Beispiel des Antiliberalismus« (S. 185 f.).
Afrika: Afrika ist eine Maske, die jene mit ihr Benannten umhüllt, erscheinen lässt. Afrika ist nicht, was es behauptet zu sein, sondern was im Allgemeinen darüber gewusst wird. Im Sinne Edward W. Saids ist Afrika keine Erfindung, sondern ein gewachsenes Konstrukt, das als Rest einer sich zwanghaft modernisierenden Welt fremd bleiben musste. Afrika ist als Kolonie der ausbeutbaren Körper bleibendes Fundament eines kapitalistischen Weltsystems, das Peripherien kultivieren und rechtfertigen muss, um den Wohlstand der anderen zu sichern, um das Konkurrenzprinzip glaubhaft zu erhalten. Mit Mbembe ist Afrika schon lange keine Region unserer Welt mehr, sondern überall, immer jener Ort, wo Körper direkt von Herrschaft gezeichnet werden, ohne dass ihre Rebellion sich jemals im Bereich des Begrifflichen zu spiegeln vermag.
»Afrika finden heißt die Erfahrung eines Identitätsverlusts machen, der zum Besitz berechtigt« (S. 103).
Achille Mbembe: Kritik der schwarzen Vernunft. Berlin: Suhrkamp 2014. 332 S.,
Erschienen in: Journal Phänomenologie, 46, 2016
Ich bedanke mich herzlich für die Veröffentlichung dieser Buchbesprechung!
Quelle: hausknotz