Die griechische Syriza-Regierung hat sich mit Vertretern der Europäischen Union (EU) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf weitere Kürzungen in Höhe von 3,6 Milliarden Euro geeinigt.
Die Vereinbarung, die am 2. Mai getroffen wurde, ist Teil des brutalen Sparabkommens von 86 Milliarden Euro, das die griechische Regierung im August 2015 als Gegenleistung für Kredite unterzeichnet hatte. Die EU machte die Verpflichtung zu weiteren Sparmaßnahmen zur Vorbedingung für die Zahlung von 7,5 Milliarden Euro, die Griechenland brauchte, um im Juli fällige Schulden zu begleichen.
Die Verhandlungen zogen sich über sechs Monate hin. In dieser Zeit mehrten sich die Spekulationen, Griechenland würde nicht rechtzeitig ein Abkommen aushandeln, um seine Restschulden von 300 Milliarden Euro oder 179 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu bezahlen. Die Folge wäre eine ähnliche Krise wie im Sommer 2015 gewesen, als das Land am Rande des Staatsbankrotts stand und die Banken schließen mussten.
Die Finanzmärkte reagierten positiv auf das neue Abkommen, die Preise für griechische Staatsanleihen stiegen um 3,1 Prozent.
Finanzminister Euklid Tsakalotos (Syriza) erklärte bei der Bekanntgabe des neuen Deals: „Die Verhandlungen sind abgeschlossen, wir sind uns in allen Bereichen einig.“ Er fügte hinzu: „Wir haben jetzt eine Entscheidung getroffen, welche die griechische Regierung durch Gesetze und Beschlüsse umsetzen muss.“
Was Syriza jetzt „umsetzen“ wird, sind weitere verheerende Angriffe auf Renten, Löhne und die Rechte der Arbeiter.
Über Rentenkürzungen von bis 18 Prozent sollen ab 2019 etwa 1,8 Milliarden Euro eingespart werden. Das entspricht ungefähr einem Prozent des BIP. Von den Einschnitten wären etwa 1,1 Millionen Rentner betroffen, die mehr als 700 Euro im Monat erhalten. Für Empfänger niedriger Renten sind das die umfassendsten Kürzungen seit der Unterzeichnung des ersten Sparpakets im Jahr 2010.
Seit 2010 wurde das Einkommen der Rentner ganze 23 Mal gekürzt, so dass die Renten innerhalb von nur sieben Jahren im Durchschnitt um 40 Prozent gesunken sind. Laut dem griechischen Vereinten Rentnernetzwerk belaufen sich die Kürzungen auf insgesamt 50 Milliarden Euro.
Der Präsident des Rentnernetzwerks Nikos Chatzopoulos erklärte zu den jüngsten Sparplänen: „Es geht nicht nur um die Kürzungen bei unseren Renten, sondern auch um die Erhöhungen der Sozialversicherungsbeiträge und der Steuern, durch die sich die Einkommen der Rentner um mehr als 50 Prozent verringert haben. […] Manche können ihre Medikamente nicht mehr bezahlen. Wir haben kein Geld mehr für Strom- und Telefonrechnungen.“
Der Steuerfreibetrag wird von 8.636 Euro auf 5.681 Euro gesenkt, sodass die Einkommen vieler Geringverdiener und Rentner nicht mehr darunter fallen. Die Maßnahme wird auch Rentner mit geringem Einkommen betreffen, die nur 500 Euro im Monat bekommen. Für diejenigen, die zum jetzigen Zeitpunkt gerade noch unter den Freibetrag fallen, bedeutet dessen Senkung eine Verringerung des Renteneinkommens um etwa 650 Euro.
Die Senkung des Steuerfreibetrags soll ebenfalls Einsparungen in Höhe von einem Prozent des BIP bringen und wird ab 2020 in Kraft treten, sofern der derzeitige Haushaltsüberschuss im festgelegten Rahmen bleibt. Andernfalls würde der Freibetrag bereits 2019 gesenkt werden.
Nächstes Jahr werden weitere Sparmaßnahmen in Höhe von 450 Millionen Euro in Kraft treten, darunter eine 50-prozentige Senkung des Heizkostenzuschusses, der Arbeitslosenhilfe und eine Senkung des Steuernachlasses für medizinische Kosten. Außerdem ist der Verkauf von Kohlegruben und Kraftwerken der griechischen Stromgesellschaft geplant, was insgesamt etwa 40 Prozent der Kapazitäten des Unternehmens betrifft.
Die Syriza-Regierung hat in den letzten Jahren die Privatisierung des Staatsbesitzes in rasantem Tempo vorangetrieben. Davon profitierte auch Deutschland, die treibende Kraft hinter den Spardiktaten gegen die griechische Arbeiterklasse. Nachdem der deutsche Flughafenbetreiber Fraport bereits 14 Regionalflughäfen, darunter auch Thessaloniki, übernommen hatte, erhält jetzt eine deutsche Firma einen Zuschlag am Hafen von Thessaloniki. Die Regierung verkauft die Rechte des zweitgrößten griechischen Hafens an ein internationales Konsortium mit deutscher Beteiligung.
Das jüngst vereinbarte Abkommen umfasst neben den Sparmaßnahmen auch Angriffe auf das Arbeitsrecht. Die griechische Regierung hat in großen Teilen die Forderungen des IWF nach einer weiteren Aushöhlung des Arbeitsrechts akzeptiert. Zwar wurde die Forderung, Arbeitgebern die Aussperrung ihrer Belegschaft zu erlauben, vorläufig fallengelassen. Aber dafür nähert sich Griechenland mit dem Abkommen einer Abschaffung der Gesetze gegen willkürliche Massenentlassungen an. Diese sind zwar weiterhin auf fünf Prozent der Belegschaft beschränkt, bzw. auf maximal 30 Arbeiter am Tag, müssen aber nicht mehr vom Finanzminister und dem Obersten Arbeitsrat (ASE) genehmigt werden. Bei dem neuen Verfahren wird der ASE nur prüfen, ob alle juristischen Voraussetzungen eingehalten werden.
Das Abkommen beinhaltet auch die Verpflichtung, Gesetze gegen Streiks einzuführen, darunter eine Beschleunigung des Verfahrens zur Feststellung der Rechtmäßigkeit von Streiks.
Die Regierung hat bis zum 18. Mai Zeit, das Abkommen im Parlament zu verabschieden, bevor am 22. Mai das nächste Treffen der EU-Finanzminister stattfindet.
Die neuen Maßnahmen treffen die ärmsten und schwächsten Teile der Bevölkerung besonders hart. Die Folgen werden katastrophal sein. Seit 2010 ist die griechische Wirtschaft angesichts der immer neuen Spardiktate, die die EU und der IWF mit den Regierungen unter Pasok, Nea Dimokratia und Syriza vereinbart haben, um 27 Prozent gesunken.
Die Arbeitslosenquote in Griechenland liegt bei 23,5 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 50 Prozent.
Laut einer aktuellen Studie der nichtkommerziellen Forschungsorganisation Dianeosis leben derzeit 1,5 Millionen Griechen bzw. 13,6 Prozent der Bevölkerung in „extremer Armut“. Im Jahr 2009 waren es 2,2 Prozent. Laut der Studie kann „eine vierköpfige Familien knapp oberhalb der Grenze für extreme Armut nur sieben Euro pro Monat für die Schulbildung ihrer Kinder ausgeben, zwölf Euro für Schuhe für die ganze Familie, und nur 24 Euro für Hygieneprodukte. Diejenigen, die in extremer Armut leben, können sich nicht einmal diese Ausgaben leisten.“
Die verheerende soziale Krise, die es in diesem Ausmaß in Friedenszeiten noch nie gegeben hat, ist ein Armutszeugnis für die pseudolinke Partei Syriza, die im Januar 2015 mit dem Versprechen an die Macht gekommen war, den Sparkurs zu beenden. Nur wenige Monate nach ihrer Regierungsübernahme ließ die prokapitalistische Partei ihre frühere Rhetorik fallen, unterzeichnete das dritte Sparmemorandum und setzte sich damit über das Referendum vom Juli 2015 hinweg, in dem der Sparkurs mit einer großen Mehrheit abgelehnt worden war.
Eine Stellungnahme der EU und des IWF lobte die griechische Regierung mit den Worten: „Dieses vorläufige Abkommen wird in den kommenden Wochen durch weitere Diskussionen über eine glaubwürdige Strategie ergänzt werden, mit der Griechenland seine Schulden begleichen kann.
Der IWF hat mehrfach betont, Griechenland könne seine Schuldenlast nicht abbezahlen, solange nicht ein Teil der Schulden erlassen wird. Auf diesem Punkt beharrte der IWF, der nicht finanziell an dem Sparprogramm teilnimmt, das Syriza 2015 ausgehandelt hat. Die deutsche Regierung hingegen lehnt jede Form von „Schuldenschnitt“ ab, da sie selbst am stärksten davon betroffen wäre. Daher hat Berlin zurückhaltend auf das jüngste Abkommen reagiert. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums bezeichnete es als wichtigen vorläufigen Schritt, fügte aber hinzu, es sei noch weitere Arbeit notwendig. Finanzminister Schäuble warnte, die griechische Regierung habe noch nicht alle Vereinbarungen erfüllt.
Es herrschen immer noch Zweifel, ob eine Einigung über einen Schuldenerlass möglich ist. Der Ökonom Stephen Brown von Capital Economics erklärte: „Die Sorgen über einen Staatsbankrott und einen EU-Austritt Griechenlands scheinen eine Zeit lang vom Tisch zu sein, aber sie sind nicht völlig verschwunden.“
Die Gewerkschaftsverbände des öffentlichen und privaten Sektors in Griechenland haben als Reaktion auf die Maßnahmen für den 17. Mai, an dem auch das Sparpaket im Parlament verabschiedet werden soll, zu einem 24-stündigen Generalstreik aufgerufen. In den letzten sieben Jahren gab es zahllose ähnliche Aktionen, die alle darauf ausgerichtet waren, dass die Arbeiter ihrer Wut Luft machen, während gleichzeitig die Maßnahmen umgesetzt wurden.
Allerdings könnte diese erprobte Maßnahme nicht mehr wirken. Die Bürokratie befürchtet, dass sie die soziale Wut, die die neuen Maßnahmen unweigerlich hervorrufen werden, möglicherweise nicht mehr kontrollieren kann. Der Vorsitzende der Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes ADEDY, Odysseas Trivalas, erklärte in der britischen Tageszeitung Guardian: „Es wird ein sehr heißer Frühling werden. Wir kennen noch nicht alle Details dieses Abkommens, aber wir wissen, dass es weitere Kürzungen beinhaltet. Es wird viele Streiks und einen allgemeinen 24-stündigen Ausstand geben, wenn die Maßnahmen dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden.“
Trivalas Rhetorik soll vertuschen, dass die Gewerkschaften und damit er selbst mitverantwortlich für die Durchsetzung des Austeritätskurses sind. Sein Werdegang ist typisch für griechische Gewerkschaftsbürokraten, die früher der sozialdemokratischen Pasok nahestanden und sich in den letzten Jahren auf Syriza orientiert haben, nachdem Pasok als Architekt des ersten Sparpakets bei allen Wahlen abgestraft wurde.
Quelle: http://www.wsws.org/de/articles/2017/05/08/gree-m08.html