In den letzten Kriegsmonaten, als die militärische Lage Nazideutschlands bereits aussichtslos war, kursierten in der deutschen Bevölkerung Gerüchte über einen möglichen Bruch der Kriegskoalition zwischen den westlichen Alliierten und der Sowjetunion. Ein »dritter Weltkrieg« stehe bevor, den die Wehrmacht diesmal an der Seite der Streitkräfte der USA und Großbritanniens führen werde. Höchstwahrscheinlich handelte es sich dabei um eine von Teilen des Naziapparats in die Welt gesetzte oder zumindest eifrig geschürte »Flüsterpropaganda«, die der Aufrechterhaltung des »Durchhaltewillens« dienen sollte.
Aber dass die Gerüchte dennoch nicht völlig aus der Luft gegriffen waren, ließ sich aufgrund der schnellen Konfliktentwicklung zwischen den Alliierten nach der deutschen Kapitulation schon lange vermuten. Doch erst mehr als 50 Jahre nach Kriegsende wurde deutlich, wie konkret damals tatsächlich schon an einer Umkehrung des Bündnisses gearbeitet worden war. Anfang Oktober 1998 berichteten britische Zeitungen erstmals über ein kurz zuvor freigegebenes Geheimdokument und veröffentlichen Auszüge daraus. Es handelte sich um eine Studie, die Premierminister Winston Churchill im Frühjahr 1945 beim Generalstab der britischen Streitkräfte in Auftrag gegeben hatte. Unter dem Arbeitstitel »Operation Unthinkable« sollten die Militärs die Chancen und den möglichen Verlauf eines Feldzugs gegen die Sowjetunion einschätzen, an dem auch Divisionen der deutschen Wehrmacht teilnehmen sollten. Das Adjektiv im Operationsnamen bedeutet »undenkbar«, »unvorstellbar«. Als anzunehmenden Tag des Angriffsbeginns hatte Churchill den 1. Juli 1945 vorgegeben. Auf dem Deckblatt des rund 35 Seiten umfassenden Dokuments steht als Betreff die handschriftliche Notiz »Russia. Threat to Western Civilisation«. Als Abschlussdatum weist das Papier auf Seite 1 den 22. Mai 1945 auf.
Wann genau Churchill den Auftrag zu dieser Planstudie erteilt hat, ist nicht bekannt. Vermutlich war es kurz nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai. Es ist bekannt, dass er am 12. Mai ein ungewöhnlich langes Telegramm an den neuen US-Präsidenten Harry S. Truman sandte, der nach dem Tod von Franklin D. Roosevelt am 12. April 1945 dessen Nachfolge angetreten hatte. Darin klagte er über den gewachsenen Einfluss der Sowjetunion. »Die Lage in Europa beunruhigt mich zutiefst«, schrieb der britische Regierungschef. Vor der russischen Front sei »ein eiserner Vorhang niedergegangen. Was dahinter vorgeht, wissen wir nicht. Es ist kaum zu bezweifeln, dass der gesamte Raum östlich der Linie Lübeck–Triest–Korfu schon binnen kurzem völlig in ihrer Hand sein wird. Zu all dem kommen noch die weiten Gebiete, die die amerikanischen Armeen zwischen Eisenach und der Elbe erobert haben, die aber, wie ich annehmen muss, nach der Räumung durch Ihre Truppen in ein paar Wochen gleichfalls der russischen Machtsphäre einverleibt sein werden. (…) Damit werden uns russisch besetzte Territorien von vielen hundert Kilometern Tiefe wie ein breites Band von Polen abschneiden.«
Etwa zu dieser Zeit dürfte Churchill auch die Studie des britischen Generalstabs in Auftrag gegeben haben. Mit dem bevorstehenden Rückzug der Amerikaner aus den von ihnen besetzten Teilen der verabredeten Sowjetischen Besatzungszone benannte der Premierminister in seinem Telegramm an Truman den Punkt, der ihm zu dieser Zeit am dringlichsten erschien.
Zum Hintergrund: Die »großen Drei«, also die Regierungschefs Großbritanniens, der Sowjetunion und der USA, hatten sich während ihres Treffens in Jalta auf der Krim im Februar 1945 und in den anschließenden technischen Detailgesprächen auf die Grenzen der Besatzungszonen in Deutschland und auf eine gemeinsame Kontrolle über Berlin geeinigt. Das entsprach aber nicht der realen Lage am Tag der Kapitulation. Einerseits hatten die sowjetischen Streitkräfte Berlin unter riesigen Opfern allein erobert. Andererseits war die deutsche Front im Westen so schnell zusammengebrochen, dass US-amerikanische Truppen im April ganz Thüringen und Teile Sachsens einschließlich der Stadt Leipzig besetzt hatten. Churchill bedrängte seine US-amerikanischen Verbündeten, die Abmachung mit der Sowjetunion platzen zu lassen. Hilfsweise forderte er, den Rückzug zumindest so lange auszusetzen, bis der in Jalta vereinbarte Alliierte Kontrollrat als gemeinsame oberste Besatzungsbehörde für ganz Deutschland seine Arbeit aufgenommen hatte. Dagegen stellte sich die sowjetische Regierung auf den Standpunkt, dass der westliche Truppenabzug aus ihrer Besatzungszone der Bildung des Kontrollrats vorausgehen müsste. Mit der alleinigen Herrschaft über die deutsche Hauptstadt hatte Russland zudem ein wertvolles Pfand in der Hand. Erst nachdem Truman am 28. Mai 1945 den Rückzug für Juni fest versprochen hatte, konnte am 5. Juni die erste Sitzung des Kontrollrats stattfinden. Am 12. Juni 1945 bekräftigte der US-Präsident in einem Telegramm an Churchill, eine »Verzögerung des Truppenabzugs als diplomatische Waffe« komme für ihn nicht in Betracht. Er wolle der Sowjetunion den 21. Juni als Rückzugstermin anbieten. Tatsächlich fand der Abzug der Amerikaner aus Thüringen und Sachsen dann zwischen dem 1. und 4. Juli 1945 statt. Gleichzeitig rückten US-amerikanische und britische Truppen sowie ein kleines französisches Kontingent in ihre Sektoren in Berlin ein. »Anständige Lösung für Polen«
Zurück zur Studie des britischen Generalstabs über die »Operation Unthinkable«. Ebenso wenig wie das Datum der Erteilung des Auftrags durch Churchill ist bisher auch sein genauer Inhalt bekannt. Möglicherweise wurde die Weisung nur mündlich gegeben und im Verlauf der Arbeiten noch etwas abgeändert und erweitert. Was Churchill genau von seinen Militärs verlangt hatte, lässt sich nur indirekt und unvollständig aus der Einleitung der Studie erschließen. Demzufolge war als angestrebter Zweck der einzuschätzenden Kriegshandlungen offenbar vom Premierminister in einem äußerst mageren Satz formuliert worden: »Das politische Gesamtziel besteht darin, Russland den Willen der Vereinigten Staaten und des British Empire aufzuzwingen.«
Worin dieser »Wille« konkret bestehen, was also praktisch durchgesetzt werden sollte, ist dem Text nicht ausdrücklich zu entnehmen. Anscheinend hatte Churchill die militärische Führung darüber weitgehend im unklaren gelassen und so eine gewisse Ratlosigkeit bei den mit der Untersuchung Beauftragten erzeugt. Dafür spricht der nächste Absatz, in dem auch schon die schwerwiegenden Bedenken des Generalstabs gegen Churchills Kriegsideen angesprochen wurden: »Selbst wenn ›der Wille‹ dieser zwei Länder nicht mehr bedeuten sollte als eine anständige Lösung für Polen, würde das nicht zwangsläufig das Ausmaß der Kampfhandlungen begrenzen. Ein schneller militärischer Erfolg könnte die Russen dazu bringen, sich unserem Willen zumindest auf absehbare Zeit zu fügen. Vielleicht aber auch nicht. Die Entscheidung läge bei den Russen. Falls sie einen totalen Krieg wollen, sind sie in der Lage, diesen herbeizuführen.« Daher sei »der einzige Weg, auf dem wir unser Ziel mit Sicherheit und nachhaltigen Ergebnissen erreichen können«, ein Sieg in einem »totalen« Krieg. An späterer Stelle wird ausgeführt, dass ein derartiger Krieg ein riskantes Glücksspiel mit völlig offenem Ausgang wäre, aber dass er auf jeden Fall sehr langwierig, opferreich und teuer werden würde.
»Eine anständige Lösung für Polen« war für Churchill vermutlich, neben der Sicherung eines möglichst großen Teils von Deutschland für den Westen, das Hauptmotiv seiner Kriegsideen im Frühjahr 1945. In der Argumentation der amerikanischen Präsidenten, erst Roosevelts, dann Trumans, stand die Tatsache im Vordergrund, dass auf die Wählerstimmen von mehreren Millionen Bürgern mit polnischen Wurzeln Rücksicht genommen werden müsse. Für das Vereinigte Königreich und für Churchill persönlich ging es um sehr viel mehr. Die britische Regierung hatte Polen am 31. März 1939 als Reaktion auf den deutschen Einmarsch in Prag und in den Westen der Tschechoslowakei eine Garantieerklärung für seine Unabhängigkeit gegeben. Sollte diese durch irgendwelche Handlungen bedroht werden, hieß es da, fühle sich die Regierung Seiner Majestät verpflichtet, Polen »sofort alle in ihrer Kraft stehende Unterstützung zu gewähren«. Am 6. April 1939 war diese einseitige Erklärung zu einem Pakt für gegenseitigen militärischen Beistand formalisiert worden. Die britische Kriegserklärung an das Deutsche Reich am 3. September 1939 war mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen begründet worden, der zwei Tage zuvor begonnen hatte, ohne dass das Vereinigte Königreich und das mit ihm verbündete Frankreich in der Lage waren, Polen nennenswerte Hilfe zu leisten.
Noch kein Bruch mit Moskau
Die polnische Regierung flüchtete zunächst nach Paris und ließ sich nach dem schnellen Sieg der Wehrmacht über Frankreich im Juni 1940 in London nieder. Ihr folgten Zehntausende polnischer Soldaten, die sich quer durch Europa durchgeschlagen hatten, um sich den britischen Streitkräften anzuschließen. In eigenen Einheiten organisiert kamen sie vor allem in Italien zum Einsatz. Die »Polish Armed Forces in the West« umfassten bei Kriegsende rund 195.000 Mann und wuchsen bis Juli 1945 durch entlassene Kriegsgefangene auf 228.000 Mann an. Nach den Vorstellungen Churchills hätten sie eine bedeutende Rolle bei der »Operation Unthinkable« spielen sollen.
Indessen hatte die polnische Exilregierung in London seit Juli 1944 Konkurrenz durch das in der polnischen Kleinstadt Che?m bei Lublin unter sowjetischer Patronage gegründete Polnische Komitee der Nationalen Befreiung bekommen. Am 1. Januar 1945 konstituierte sich dieses als »Provisorische Regierung der Republik Polen« (Rz?d Tymczasowy Rzeczypospolitej Polskiej, RTRP). Während der Konferenz in Jalta drängte Churchill auf deren Verschmelzung mit der Londoner Exilregierung. Was er erreichte, war eher die Zusage Stalins, die Aufnahme »anderer Kräfte« in die RTRP zuzulassen.
Auch damit ließen sich Stalin und die von ihm protegierten Polen jedoch Zeit. Am 23. April 1945 kam es deswegen zu einer Konfrontation zwischen US-Präsident Truman – der gerade erst elf Tage im Amt war – und dem sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw Molotow, als dieser Washington besuchte. Der frühere sowjetische Botschafter in der BRD (1971–1978), Walentin Falin, behauptete 2005, Truman habe schon damals das Bündnis mit der Sowjetunion brechen wollen und wäre damit vielleicht sogar durchgekommen, wenn er nicht auf Widerstand bei einem Teil des US-Militärs gestoßen wäre. Der Diplomat ließ jedoch offen, ob er zu dieser Einschätzung durch nicht öffentlich zugängliche sowjetische Dokumente gekommen war, oder ob er lediglich eigene Vermutungen aufgrund der Darstellung in Trumans Memoiren ausgesprochen hatte. Der hatte dort damit geprahlt, er habe Molotow so barsch zurechtgewiesen, dass dieser sich beklagte, in diesem Ton habe noch niemand mit ihm gesprochen. Truman behauptete allerdings nicht, dass er die Absicht gehabt habe, es deswegen zu einem Bruch mit Moskau kommen zu lassen – dafür gibt es auch in den freigegebenen Protokollen keine Anhaltspunkte. Wohl aber geht aus diesen hervor, dass sowohl Kriegsminister Henry Stimson als auch General George Marshall, der Stabschef der US-Armee, den außenpolitisch und militärisch völlig unerfahrenen Truman intern vor einer Verschärfung des Konflikts mit der sowjetischen Führung zu diesem Zeitpunkt und unter den gegebenen Umständen warnten.
Langwieriger Krieg
Der Streit über die politische Zukunft Polens wurde, zumindest für den Moment, dadurch bereinigt, dass sich die von Moskau unterstützte Provisorische Regierung in Gesprächen, die vom 17. bis 21. Juni 1945 stattfanden, mit einem Teil der Londoner Exilregierung, darunter mit deren früheren Chef Stanis?aw Miko?ajczyk, verständigte. Beide Seiten bildeten am 28. Juni eine neue »Provisorische Regierung der Nationalen Einheit«. Miko?ajczyk, der Führer der vor allem bei der ländlichen Bevölkerung Polens populären Volkspartei, wurde stellvertretender Premierminister und übernahm zugleich das Ministerium für Landwirtschaft und Bodenreform. Große Teile der Londoner Exilregierung lehnten diese Einigung ab und warfen Miko?ajczyk Verrat vor. Das änderte jedoch nichts daran, dass die USA und Großbritannien am 5. Juli 1945 die neugebildete polnische Regierung anerkannten und die diplomatischen Beziehungen zur Exilregierung abbrachen.
Zu diesem Zeitpunkt wusste Churchill längst, dass der britische Generalstab die »Operation Unthinkable« als aussichtslos und hochgradig riskant eingeschätzt hatte. Die militärische Führung hatte die am 22. Mai 1945 abgeschlossene Studie dem Premierminister am 8. Juni mit einer knappen, das umfangreiche Papier zusammenfassenden Bewertung vorgelegt. Aus dem Kräfteverhältnis der in Europa verfügbaren Landtruppen werde deutlich, so hieß es dort, »dass wir nicht in der Lage sind, mit Aussicht auf einen schnellen Erfolg die Offensive zu ergreifen«. Das Vereinigte Königreich müsse sich, falls es Kampfhandlungen gegen die sowjetischen Truppen in Mitteleuropa beginnen würde, auf einen langwierigen Krieg gefasst machen, der schwere Probleme aufwerfen würde. Dies um so mehr, wenn die Amerikaner »müde und gleichgültig« würden und sich aus Europa zurückzögen.
Im eigentlichen Bericht zu Churchills Kriegsidee war dargelegt worden, dass die Sowjetunion in Europa eine Überlegenheit von vier zu eins bei den Landtruppen und von zwei zu eins bei den Panzerdivisionen besaß. Die große westliche Überlegenheit bei den strategischen Bombern sei nur beschränkt von Nutzen. Erstens könnten diese, so lange die Westalliierten noch nicht über vorgeschobene Luftstützpunkte auf dem Kontinent verfügten, kaum Ziele in der Sowjetunion erreichen. Außerdem seien die sowjetischen Produktionsstätten, anders als in Deutschland, nicht auf wenige Ballungsräume konzentriert, sondern über das ganze Land verstreut und entsprechend schwer anzugreifen. Erwähnt wurde auch, dass die Verkehrswege im Westen Deutschlands durch die ständigen massiven Bombenangriffe sehr viel stärker zerstört seien als in der Sowjetischen Besatzungszone und in Osteuropa. Daraus ergäben sich für westliche Kriegshandlungen große Nachschubprobleme. Aus den Gefangenen der deutschen Wehrmacht könnten zunächst nur etwa zehn Divisionen – umgerechnet vermutlich ungefähr 150.000 Mann – formiert werden. Selbst diese würden erst im Herbst zur Verfügung stehen können. Die Wiedermobilisierung und Ausrüstung weiterer deutscher Truppen würde erheblich mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Bei allergünstigstem Verlauf könnten die britischen und amerikanischen Streitkräfte bis zum Wintereinbruch eine Linie von Gda?sk im Norden bis nach Wroc?aw im Südwesten Polens erreichen. Ob das genüge, um die Sowjetunion dazu zu bringen, sich den – im Papier nicht formulierten – westlichen Forderungen zu unterwerfen, sei ungewiss. Andererseits würde ein weiterer Vormarsch über diese Linie hinaus zu schweren Problemen führen. Letztlich würde es nicht möglich sein, einen solchen Feldzug räumlich zu begrenzen. In einem »totalen Krieg« gegen die Sowjetunion wäre ein »entscheidender Sieg«, wenn überhaupt, nur durch umfangreiche und langwierige Bodenoperationen auf deren Territorium und durch die Besetzung von »lebenswichtigen Gebieten« zu erreichen. Es sei »schwer vorstellbar«, dass die westlichen Truppen auch nur in der Lage sein könnten, ähnlich weit und schnell in die Sowjetunion vorzudringen wie die Deutschen im Jahr 1942. Und selbst das habe keine entscheidenden Ergebnisse gebracht.
Bewundert und verachtet
Auf dem Stand der gegenwärtigen Erkenntnisse scheint die »Operation Unthinkable« nicht wesentlich mehr als ein abwegiges Gedankenspiel des alten Kommunistenhassers Churchill gewesen zu sein – soweit es jedenfalls den damaligen Zeitpunkt und die gegebenen Umstände angeht. Der britische Generalstab erledigte die ihm übertragene Aufgabe, die Erfolgsaussichten eines solchen militärischen Abenteuers einzuschätzen, mit deutlicher Distanz, ja klarer Ablehnung. Alan Brooke, der damalige Chef des Generalstabs der britischen Armee, dachte vermutlich ähnlich wie die Mehrheit seiner Kollegen, als er am 10. September 1944 in sein Tagebuch notierte: Ohne Churchill wäre England mit Sicherheit verloren gewesen, aber mit ihm sei es immer wieder an den Rand der Katastrophe geraten. Während des Krieges sei es immer wieder erforderlich gewesen, den Premierminister von verheerenden militärischen Dummheiten abzuhalten. Keinen anderen Menschen habe er so sehr bewundert und zugleich so verachtet. »Nie waren solche entgegengesetzten Extreme im selben Menschen so miteinander verbunden.«
Das Problem erledigte sich, zumindest für den Moment und für die nächsten Jahre, auf demokratische Weise. Im Vereinigten Königreich war letztmals am 14. November 1935 gewählt worden. Am 13. Mai 1940, drei Tage nach dem Beginn der deutschen Offensive gegen Frankreich, war Churchill Chef einer Koalitionsregierung geworden, die die Labour Party einschloss. Das Bündnis überstand den gesamten Krieg gegen Deutschland. Aber zwölf Tage nach dessen Ende entschied ein Labour-Parteitag am 20. Mai 1945, die Koalition nicht länger fortzusetzen. Churchill reichte am 23. Mai seinen Rücktritt ein, übernahm dann aber auf Wunsch des Königs die Führung einer Übergangsregierung ohne die Sozialdemokraten bis zu der bereits vereinbarten Auflösung des Unterhauses am 15. Juni. Am 5. Juli 1945 fand im Vereinigten Königreich erstmals seit fast zehn Jahren wieder eine Parlamentswahl statt. Die Auszählung zog sich, hauptsächlich wegen der Stationierung von mehreren hunderttausend Soldaten im Ausland, bis zum 26. Juli hin. Das Ergebnis war ein deutlicher Sieg der Labour Party, die ihren Stimmenanteil von 38 auf 47,7 Prozent steigern konnte, während die Konservativen von 47,8 auf 36,2 Prozent absackten. Erstmals in der britischen Geschichte waren die Sozialdemokraten aufgrund einer starken Mehrheit im Unterhaus in der Lage, eine Alleinregierung zu bilden.
Churchill befand sich zu dieser Zeit in Potsdam zur Konferenz mit Stalin und Truman, die am 17. Juli 1945 begonnen hatte. Er flog am 25. Juli nach London, um an der Bekanntgabe des Wahlergebnisses teilzunehmen – und kehrte nicht wieder nach Potsdam zurück. Seine Stelle als Leiter der britischen Delegation übernahm nach einer dreitägigen Verhandlungspause der neue Premierminister Clement Attlee. »Wirklich schade«, soll Stalin kommentiert haben, der die Wortgefechte und Trinkduelle mit Churchill zu schätzen schien.
Im Oktober 1951 trat der mittlerweile fast 77jährige Führer der Konservativen nach einem knappen Wahlsieg noch einmal an die Spitze einer britischen Regierung, gab aber im April 1955 nach einem schweren Schlaganfall vorzeitig auf. Der Mann, der einst als 45jähriger Kriegsminister »die bolschewistische Revolution in der Wiege erdrosseln« wollte und sich stark für die britische Militärintervention während des russischen Bürgerkriegs engagiert hatte, starb am 24. Januar 1965. Der britische Staat hütete das Geheimnis seiner »Operation Unthinkable« danach noch weitere 33 Jahre.
* Aus: junge Welt, Donnerstag, 21. Mai 2015
Quelle: http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Kriegsgeschichte1/churchill.html